piwik no script img

■ StandbildHamletfrage

„Die Milliardenbombe“, Mittwoch, 22.30 Uhr, ZDF und „Kindersegen wird zum Fluch“, Donnerstag, 23 Uhr, ARD

Noch haben sie in den öffentlich- rechtlichen Sendern etwas zu melden, die Auslandskorrespondenten: Konflikte, Elend – die Konstanten bleiben notgedrungen gleich. Was aber tun, damit der Infotainment-geschädigte Zuschauer nicht gleich wegzappt? Geduldig und einfühlsam etwas aufzeigen? Mit dem Drohfinger verängstigen? Empathie oder Erregung – die Hamletfrage aller Fernsehmacher wurde diese Woche einem medienpraktischen Feldversuch unterzogen.

Zweimal bot man uns Hintergründe zur Weltbevölkerungskonferenz in Kairo. Zweimal wurde ganz deutlich, daß die Entrechtung und Degradierung der Frauen der eigentliche Skandal ist. Doch die Berichte hätten stilistisch kaum unterschiedlicher sein können. Peter Berg und Christian Sterley wählten für ihre Indien-Reportage den klassischen Magazinstil mit einer Vielzahl von Handlungsorten, deren Menschen indes meist unter dem dickgeknüpften Kommentarteppich begraben wurden. Vor allem aber mußte der Aufreißertitel des Sendeplatzes bedient werden: „Zündstoff“. So wimmelten schon in der ersten Einstellung unzählige Inder durch Bombays Straßen. „Nicht nur Hunger und Chaos als Folge machen uns Angst; es wächst auch die Furcht, daß damit Konkurrenten heranwachsen.“ Cut: Noch wienern brave Schwaben die Mercedeskühler, aber bald soll die E-Klasse in Indien montiert werden. Dann der Hammersatz: „Die indische Bevölkerungsbombe entsteht auf dem Lande, in den 570.000 Dörfern.“ Menschen als bedrohliche Waffe – ein Zynismus, der die tiefverwurzelten Hintergründe überspielt, die dann aber doch noch konkret benannt wurden: Allen voran die tradierte Machokultur, die so viele Geburten verlangt, bis ein männlicher Erbe dabei ist.

Wie unaufgeregt und mit trockener Schärfe dagegen Udo Kilimanns Philippinen-Reportage. Er hörte den Frauen zu, ließ sich ihre selbstorganisierten Intitiativen vorstellen, kontrastierte genüßlich das Gerede des Paters Delfin („Verantwortliche Mutterschaft ist ein Prozeß ständigen Betens vor Gott“) mit dem Wissen kritischer Ordensschwestern („Wenn der Mann betrunken ist, geht die natürliche Familienplanung den Bach runter“). Geduldig sieht sich Kilimann im Alltag der Müllmenschen von Manila um, läßt ihnen die Würde des individuellen, unspektakulären Auftretens. Die Reportage erzählt ihre Geschichte quasi von selbst. Joachim Holtz, Chef des ZDF-„auslandsjournals“, erklärte unlängst, daß nach der Wiedervereinigung das Interesse der Deutschen am Ausland stark abgenommen habe. Wieviel „Zündstoff“ man wohl braucht, um Michel Wohlstand aus seinem Vereinigungstrauma zu wecken? Dieter Deul

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen