: 150 Jahre angekauter Federkiel und Margarinebrot
■ Heute wird die Ausstellung „150 Jahre Schulpflicht“ eröffnet
Vergilbte Lehrbücher aus dem Dritten Reich, Holzbänke und ein Lehrerpult aus der Zeit um die Jahrhundertwende , sowie ausgestopfte Tiere aus dem Naturkundeunterricht vergangener Zeiten. Besonderer Blickfang ist der Kopf einer Straßenbahn auf einem Gleisstück. Das soll an den ersten politischen Protest Bremer SchülerInnen im Januar 1968 erinnern.
Pünktlich zum Schulbeginn nach den Sommerferien beginnt in der Unteren Rathaushalle eine Ausstellung zum Thema „150 Jahre Schulpflicht“. Vorbereitet und gestaltet wurde die Ausstellungsreihe „Geh zur Schul und lerne was“ vom Staatsarchiv, der Schulgeschichtlichen Sammlung Bremen, dem Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis (WIS) und der Landesbildstelle. „Viele Dokumente wurden erstmalig ausgegraben“, erzählt Projektleiterin Ulla Nitsch von der Forschungsarbeit.Auch die Bremer Bevölkerung half mit, das Projekt durch persönliche Berichte und der Leihgabe vieler kleiner Gegenstände, wie zum Beispiel abgekaute Federkiele, zu vervollständigen. „Das Thema scheint die Menschen zu interessieren“, folgert Ulla Nitsch. Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich geht jeder zehn Jahre lang zur Schule. Für die Organisatoren stellte sich bei ihrer Arbeit zudem ein besonderer Aha-Effekt ein: „Die Schule ist der stärkste Einfluß des Staates auf den Einzelnen“, erklärt Hermann Stichweh (WIS).
Die Präsentation macht zudem deutlich, daß die staatlichen Schulen sehr unterschiedliche Abschnitte durchlaufen haben.“Vieles hat sich geändert – und es war sicherlich nicht immer fortschrittlich“, beschreibt Ulla Nitsch die historische Entwicklung in der Bildungspolitik. Besonders im Dritten Reich wurden die Schulen dazu benutzt, die Kinder und Jugendliche ganz im Sinne der nazionalsozialistischen Ideologie zu erziehen. Selbst Mathebücher wurden mit hakenkreuzgeschmückten Wimpeln illustriert.
Doch die Ausstellung bietet mehr als die bloße Vorstellung historischer Hintergründe: Wer Lust hat, kann selbst ausprobieren, unter welchen Bedingungen frühere Generationen in den Klassenräumen lernten. So kann jeder Besucher mit Federkiel und Tinte schreiben oder Margarinebrot mit Zucker kosten. Das gab es nach dem Zweiten Weltkrieg als sogenannte Schulspeisung. Die Themen des Projekts sind in Katalogform und als Buch im Hausschild-Verlag erschienen. „Es sind Standardwerke über 150 Jahre Bremer Schulgeschichte“,ist Karin Hackel, ehemalige Mitarbeiterin des Staatsarchivs Bremen, überzeugt. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Recherchen damit abgeschlossen sind. Ulla Nitsch:“Das Projekt soll kein Endprodukt darstellen, sondern ein Anreiz zum weitermachen sein.“ Die Auftaktausstellund in der Rathaushalle läuft bis zum 13. September.
Barbara Schmidt
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