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■ Der „Bond tegen het Vloeken“ meint es ernstVerdammt! Fluchkämpfer greifen an

Veenendaal/Amsterdam (taz) – Im holländischen Zwolle stand dieser Tage ein Mann wegen eines höchst seltsamen Deliktes vor Gericht: wegen Fluchens. Der 39jährige hatte einen seiner Nachbarn ganz ernsthaft bedroht: „Ich habe einen Fluch über dich verhängt. Du wirst binnen kurzer Zeit sterben.“ Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Wochen Gefängnis auf Bewährung beantragt, der Richter erbarmte sich jedoch. Die Bedrohung mittels Fluchen befand er als „nicht real“ und sprach den Beschuldigten kurzerhand frei.

Und das in dem Land, das wohl die stärkste Anti-Fluch-Bewegung der Welt hat. Der holländische „Bond tegen het Vloeken“ hat die Niederlande mit Plakaten, Aufklebern, Bierdeckeln und sogar Luftballons überzogen, die konsequent immer wieder eines fordern: Nicht fluchen! Das am weitesten verbreitete Plakat ist auf buchstäblich jeder Bahnstation zu finden. Ein streng dreinblickender Papagei – wunderbar bunt – tadelt Fahrgäste, die vielleicht einem Zug nachhasten oder ungeduldig warten: „Vloeken is aangeleerd! Word geen naprater!“ Das ist einfach zu begreifen („Fluchen ist angelernt! Sei kein Nachplapperer!“). Ebenso wie eines der vielen Plakate auf dem Flughafen Schiphol, welches 3,32 Meter mal 2,36 Meter groß auf wolkigem Himmel ermahnt: „Vloeken lucht niet echt op“ (etwa: „Wer flucht, hebt nicht richtig ab“).

Rijk van de Pool lenkt aus einem modernen Bürogebäude in Veenendaal die Geschicke des Anti-Fluch-Bundes. Veenendaal ist mit 50.000 EinwohnerInnen nicht nur eines der größten Dörfer der Niederlande, hier wohnen auch besonders viele Christen, die sich zu den calvinistischen Kirchen zählen. Van de Pool zaudert, als er den Fall in Zwolle beurteilen soll. Schließlich meint er vorsichtig: „Wenn der Mann im Namen Gottes einen Fluch verhängt hat, dann ist das zu verurteilen.“

Der „Bond tegen het Vloeken“ sieht sich nicht als Bund der Außenseiter. Van de Pool: „Wir haben über 17.000 zahlende Mitglieder, zahlreiche Ortsgruppen, haben Partner in Belgien, Schottland, England und Kanada.“ Nicht nur daß das Werbebudget jährlich fast 600.000 Gulden beträgt, unzählige Freiwillige helfen mit, wenn es wieder einmal gilt, Plakate auf Bahnhöfen, an Busse, Haltestellen oder an Autos zu kleben. Mehr als ein Viertel des Gesamtbudgets kosten die an den am besten zugänglichen Stellen sichtbaren Plakate. Viel wichtiger aber ist der Enthusiasmus der sogenannten Donateure. Das sind die zahlenden Mitglieder des Bundes, der in Form einer Stiftung existiert.

Hinter der Anti-Fluch-Gemeinschaft stehen indirekt die calvinistischen Kirchengemeinschaften, auch Baptisten und die in Holland schon fast eine Kultfigur zu nennende Frau Major Bosshardt von der Heilsarmee. Die hochbetagte Dame tritt, ohne zu zögern, auch in Popsendungen oder etwa in der Silvestershow auf. Mit der katholischen Kirche wiederum gibt es Schwierigkeiten, die will nicht mitarbeiten, denn „es gibt Wichtigeres zu tun“.

Entstanden ist der Bund gegen das Fluchen im Jahr 1917, als ein pensionierter Marinesoldat, nach Jahren auf See wieder an Land, sich entsetzte, wie die Landratten seiner Meinung nach die niederländische Sprache verlottern ließen.

Kriegszeiten sind immer auch Fluchzeiten, und auf Holländisch läßt sich nun mal besonders schön fluchen. Deshalb gibt der Bund besondere Tips heraus, wie man die Militärzeit am besten fluchlos übersteht („Sprich langsam, hebe nicht drohend den Finger, sage: ,Hätten Sie eben nicht geflucht, dann hätte ich Sie besser begriffen!‘“).

Sinnlos erscheint Rijk van de Pool die Arbeit nicht: „Soll etwa die Polizei aufhören, die Kriminellen zu bekämpfen, obwohl es immer wieder neue Diebe und Gewalttäter gibt?“ argumentiert er. „Beispielsweise wird jetzt über das Schimpfen im Büro geschrieben, das sogenannte Mobbing. Wenn das jemandem passiert, dann fährt der oder die nach der Arbeit nach Hause, sieht auf dem Bahnhof unser Plakat, freut sich, und es geht ihm gleich besser.“

Ein bißchen bedauern es die frommen Anti-Fluch-Kämpfer, daß Fluchen nicht mehr verboten ist. Der entsprechende Artikel 147 des Strafgesetzbuches ist vor einigen Jahren abgeschafft worden; er kollidierte nach Ansicht der Gesetzgeber mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dennoch haben die Gemeinden das Recht, eigene Verordnungen gegen Schimpfen in der Öffentlichkeit zu erlassen. Das tun sie auch, wenngleich etwa in Veenendaal niemand eine Strafe befürchten muß. „Auch wir wollen nicht, daß die Polizei herumläuft und die Leute abhört“, wehrt van de Pool ab. Zahlreiche Gemeinden geben dem Bund einen Zuschuß.

Dafür ist der „Bond tegen het Vloeken“ sehr aktiv in den Medien: Es werden etwa Anzeigen auf der Titelseite des Boulevardblattes De Telegraaf geschaltet („Macht aus Fußball keinen Fluchball!“ lautete das Motto während der WM), Journalisten und TV- Sender werden mit Protestkarten überhäuft, sobald nach Meinung des Bundes in Filmen oder Moderationen zuviel geschimpft wird. Der Anti-Fluch-Verein versuchte vor Jahren gar, die aus politischen oder religiösen Wurzeln stammenden Anbietergruppen der öffentlich-rechtlichen Medien zu einer Art gemeinsamen Anti-Fluch- Charta zu bewegen, aber die lehnten dankbar ab. Zuletzt bekamen 2.000 Journalisten einen Kugelschreiber mit der Aufschrift „men uw pen“ – beherrschen Sie Ihre Feder! Falk Madeja

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