: "Wir wollen Japan nicht kopieren"
■ Interview mit Edzard Reuter, dem Vorstandsvorsitzenden des Daimler-Benz-Konzerns, über die Allianz mit Mitsubishi
taz: Seit viereinhalb Jahren führen Sie auf deutscher Seite die Allianz zwischen den größten Konzernen Europas und Asiens. War es dabei Ihr vorrangiges Interesse, Profit zu machen oder Geschichte?
Edzard Reuter: Natürlich wollen wir zum Schluß Profit machen. Nur ist diese Allianz langfristig angelegt. Der Grundgedanke geht darauf zurück, daß weder wir noch die Mitsubishi-Gruppe uns zutrauen können, in dieser so klein gewordenen Welt alle Dinge aus eigener Kraft zu machen. Wir brauchen Partnerschaften und Arbeitsteiligkeit, damit nicht alles doppelt und in unsinniger Konkurrenz gemacht wird. Mit einer so großen Unternehmensgruppe wie Mitsubishi eine grundsätzliche Partnerschaft einzugehen ist dabei für ein Unternehmen wie Daimler- Benz eine wichtige geschichtliche Weichenstellung, aber deswegen doch nicht im Sinne von großer Weltgeschichte.
Das Bilanz ihrer Partnerschaft bleibt dennoch widersprüchlich.
Ich gebe gerne zu, mit langen Zeithorizonten gerechnet zu haben – aber nicht mit so langen. Hauptsache aber ist, daß die Dinge nun gut in Bewegung sind.
Zum Beginn der Gespräche wurde Ihnen von japanischer Seite eine übereilte und aufdringliche Vorgehensweise vorgeworfen. In Nagasaki hat man sich nun für Ihre „Führungskunst“ in dieser Anfangszeit ausdrücklich bedankt. Hat sich Ihr Verhältnis zu den Mitsubishi-Spitzen gebessert?
Wir haben uns von Anfang an Mühe gegeben, in Japan nicht teutonisch aufzutreten. So waren wir überrascht, als damals in der Öffentlichkeit eine fast kontroverse Darstellungsweise entstand: Es wurde diskutiert, wer da welche Schritte zuerst unternommen hatte und wer mehr gedrängt hatte und wer weniger. Im Verhandlungszimmer habe ich solche Gegensätze eigentlich nie verspürt. Dabei habe ich immer versucht, die Grundidee dieser Kooperation mit möglichst viel Leben zu füllen, genau wie das Shinroku Morohashi, der Vorsitzende der Mitsubishi Corporation, auf der japanischen Seite getan hat.
Japaner haben aufgrund ihrer Gruppenfixiertheit oft große Schwierigkeiten, sich in fremde kulturelle Standpunkte hineinzuversetzen. Sind diese Barrieren bei Mitsubishi heute überwunden?
Das ist ganz klar der Fall. Wir unterstellen uns nicht mehr, daß wir uns gegenseitig über den Tisch ziehen wollen, sondern daß wir gemeinsam etwas nach vorne bringen wollen. Wir haben uns in dem Sinne kennengelernt, daß wir uns auch dann noch verstehen und um die Sache bemühen, wenn wir die gleichen Dinge zunächst in unterschiedlichen Formen ausdrücken. Das ist auf beiden Seiten erst gelernt worden, wobei der gegenseitige Respekt gewachsen ist.
Das sieht man am besten an der ungebrochenen Weiterführung unserer Grundidee über Nachfolger hinweg. Bei Mitsubishi Motors und Mitsubishi Electric stehen heute andere Manager an der Spitze, welche die gleiche Linie wie ihre Vorgänger verfolgen.
Dennoch hapert es bei den Ergebnissen. Es gibt eine Vielzahl kleinerer gemeinsamer Projekte. Doch wo bleiben die gemeinsamen Ingenieursleistungen, die Eroberungen von Drittmärkten und die gemeinsame Weltraumrakete, von der Mitsubishi-Heavy-Industries- Chef Yotaro Iida vor vier Jahren in der taz sprach?
Das alles steht nach wie vor auf unserem Programm und hat heute bessere Realisierungschancen als je zuvor. Wir bleiben etwa im Gespräch über ein gemeinsames Regionalflugzeug. Sowohl die großen Dinge im Bereich der Luft- und Raumfahrt und der Automobilindustrie als auch die Erschließung neuer Märkte und die Kooperation etwa in der Umwelttechnik sind die Zukunftsaufgaben, an denen wir weiter arbeiten müssen. Vielleicht ist das spektakuläre Projekt, gemeinsam die russische Automobilindustrie aufzumöbeln, nicht zustande gekommen, aber doch nicht unseretwegen, sondern wegen der Gegebenheiten dieser Märkte. Heute aber gibt es Ansätze, gemeinsam in die neuen Märkte Asiens – China, Vietnam, Indien – vorzustoßen. Der strategische Gedanke ist also absolut unverändert. Herr Morohashi hat hier gesagt, daß es sicher auch ein siebtes und ein zwanzigstes Top- Meeting geben wird.
Muß man sich nun auch noch vor der Allianz Reuter/Morohashi mit dem chinesichen Premier Li Peng fürchten?
Man muß das niedriger hängen. Hier ergreift keiner die Zügel und reißt sich alles unter einen Nagel. Das würden schon die mächtigen chinesischen Provinzen nicht zulassen. Die Arbeit in China ist differenzierter und schwieriger. Aber wir können hier jederzeit beim Wort genommen werden, wenn wir mit Mitsubishi die Umwelt oben auf unsere Fahnen geschrieben haben. Wenn nämlich plötzlich 1,2 Milliarden Chinesen 400 Millionen Autos fahren, dann entstünde ein Umweltschaden, den wir mit unserem Umweltschutz in Europa und Amerika nie ausgleichen könnten.
Werden sich Daimler und Mitsubishi in China an ökologische Normen halten, die gesetzlich nicht gefordert sind?
Ich weiß, was Wettbewerb bedeutet, aber wenn wir irgendwo die Verantwortlichkeit von Unternehmen ernst nehmen wollen, dann darf es gerade in China, wo für die ganze Welt eine ungeheure ökologische Belastung entstehen kann, keine Ausreißer der Industrie geben. Wir müssen zum Beispiel einen Preiskrieg zwischen Autos mit und ohne Katalysator unbedingt vermeiden.
Ihre Gespräche verliefen zeitgleich zur deutschen Wirtschaftskrise und in einem tiefen Umstrukturierungsprozeß, bei dem vor allem in der Autoindustrie viele japanische Produktionsideen zum Tragen kamen. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Allianz mit Mitsubishi und der von Ihnen so benannten „Revolution der Produktion“ in Deutschland?
Eines unserer Projekte besteht in der Zusammenarbeit zwischen der Mitsubishi Corporation und Mercedes-Benz, wobei es sich um eine Weiterentwicklung und Modernisierung der logistischen Ideen in der Produktion handelt. Unsere Leute hatten die Gelegenheit, nicht nur zur Show durch japanische Fabriken zu gehen, sondern dabei alle Einzelheiten intensiv durchzudiskutieren. Wir haben dann Modelle entwickelt, wie wir sie bei unseren Arbeitszeit- und Organisationsstrukturen in deutschen Fabriken anwenden können. Unsere Modelle sind also nicht identisch mit den japanischen. Aber der Grundgedanke, daß wir die Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen in der Fabrik viel breiter anlegen und auf ein bestimmtes Ziel hin organisieren, ist maßgeblich für die jüngsten Produktivitätssteigerungen in Deutschland. Dieser Gedanke ist in Japan vorgedacht und effektiv umgesetzt worden.
Das entspricht nicht weniger als einer Revolution unserer traditionellen deutschen Industriestruktur. Insbesondere in der Automobilindustrie hatten wir bis zum Ende der 80er Jahre alle auf der Basis der reinen Funktionalorganisation gearbeitet: lauter Spezialisten, die nebeneinander arbeiteten und erst zum Schluß mit großen Mühen das Produkt zusammenbrachten und vermarkteten. Heute arbeiten wir in ganz anderer Art: Bei der Produktentwicklung steht schon am Anfang ein kleines, überschaubares Team, in dem von der Entwicklung über die Produktion bis zum Marketing und der Finanzierung alle an Bord sind – mit der Vorgabe von Herstellungszeitraum, Kosten und Nutzwert des neuen Produktes.
Ging es in ihren Gesprächen mit Mitsubishi um langfristige Modernisierungskonzepte, die über bloße technische Projekte hinausgehen, etwa im neuen Kooperationsbereich Multimedia?
Das trifft ohne jeden Vorbehalt zu. Das beginnt mit unserer intensiven Zusammenarbeit im Bereich der Forschung, wo Daimler-Benz Zugang zu allen wesentlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Mitsubishi-Gesellschaften hat. Wir denken also über Zukunftstechnologien und -systeme nach. Multimedia ist dabei noch eine schwammige Begriffsbildung, auch wenn es in aller Munde ist. Dieser Verbund zwischen digitaler Datenverarbeitung und Kommunikationstechnologie ist tatsächlich eine ungeheuer breite Zukunftschance, wobei ich in der Welt keinen kenne, der hier bereits eine festgefügte Strategie hat. Zwischen Mitsubishi und uns besteht ein ganz intensiver Gedankenaustausch, wie für unsere Gruppen sinnvolle Multimedia-Strategien aussehen könnten und wo man durch Zusammenarbeit Synergien erzeugen kann. In gleicher Richtung gehen inzwischen Überlegungen, ob wir die Unternehmensplanungen in breiter Form gegenseitig öffnen. Wir reden damit über die integrierten Konzernstrategien von den Produkten bis zu den Märkten.
Könnten Deutsche und Japaner dann gemeinsam den Vorsprung der Amerikaner in den Kommunikationstechnologien aufholen?
Hier zeichnen sich wohl von Anfang an weltweite Allianzen ab, die sich jedoch keineswegs über einen etwaigen Vorsprung der Amerikaner definieren lassen.
Wie hat sich das Verhältnis Ihrer Betriebsräte und Gewerkschaften zu Mitsubishi entwickelt?
Zunächst haben unsere deutschen Belegschaftsvertreter die japanische Erfahrung nicht ernst genommen. Sie haben gesagt: „Es ist interessant, wie die Japaner das machen, aber sie arbeiten wie die Verrückten, und wir wollen das nicht kopieren, denn wir sind keine Roboter.“ Erst als der Einbruch Mitte 1992 kam, fiel plötzlich bei vielen der Groschen, daß es gar nicht um das Rennen in der Fabrik geht, sondern um eine andere Organisationsform. Das haben nun alle verstanden, und wir sehen jetzt die Möglichkeit, innerhalb unseres Sozialsystems mit den Japanern mithalten zu können – vorausgesetzt, wir schlafen nicht wieder ein. Wir brauchen eine permanente Revolution, so wie sie uns die Japaner vorleben.
Ihre nächste Japanreise planen Sie bereits als Berliner Bürgermeister?
Ganz sicher nicht. Ich möchte einmal in Japan etwas mehr Zeit verbringen, was mir als Bürgermeister von Berlin sicherlich nicht vergönnt wäre. Interview: Georg Blume, Nagasaki
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