: Gettos im Schlaglicht
■ Doppel-Solo-Gastspiel von Materia Prima aus Toronto: „Nazi/Jew/Queer“ und „Lebensborn“ im Parkhaus Treptow
Dem Führer ein Kind schenken, von einem unbekannten, aber „rassisch“ hochstehenden Mann, einzig zur Verbesserung der völkischen Erbsubstanz. Was wie entgleiste Satire klingt, ist ein wenig bekanntes Kapitel der NS-Geschichte. Lebensborn e.V. war eine Organisation zur Züchtung „rassereinen“ Nachwuchses. In eigens eingerichteten Heimen schwängerten SS-Männer ausgewählte Frauen, welche die Kinder dann abgeschirmt austrugen.
Die Frau als entpersonalisiertes Gebärinstrument – mit anderen ideologischem Hintergrund ist das im Zeitalter des Leihmütter leider grausig aktuell. Doch dieser Bezug bleibt in dem monologischen Einakter der in Kanada lebenden deutschen Schauspielerin Sabine Fella nur unausgesprochener Nebenaspekt. Sie erzählt in kurzen Szenen den Weg einer jungen Frau von naiver Begeisterung zur „Mähre des Führers“. Ein blondbezopftes Klischee-Mädel steht da am Anfang, das gesteht, sich in Hitler verliebt zu haben. Doch aus dieser Kabarettfigur wird nach und nach eine Frau, die wild entschlossen ist, sich ihren Irrtum nicht einzugestehen. Das Kindsbündel in der Hand, kämpft sie verzweifelt darum, ihre gerade gewonnene Identität nicht zu verlieren. Sabine Fella springt zwischen Holzschnitt und genauer Psychologie ständig hin und her. Das ist ebenso witzig wie beklemmend und schlägt unaufdringlich exemplarisch eine Brücke zur Gegenwart.
Leider ist dieses intensive Porträt nur der zweite Teil eines theatralischen Double-Features der Gruppe Materia Prima aus Toronto. Der erste, auch ein Solo, kommt ganz spekulativ daher. „Nazi/Jew/Queer“ (Nazi/Jude/ Homo) lautet die provokative Titelkombination. Drei Schlaglichter auf verschiedene soziale Gettos will Autor und Spieler Michael Achtmann werfen. Dazu stellt er einen schwulenklatschenden Skin, einen seine Wurzeln verleugnenden Juden sowie einen Maso-Schwulen nebeneinander. Was heftigste Tabuverletzung sein will, kratzt mit Geschrei und großen Gesten kaum an der Oberfläche.
Achtmann verfügt weder über die schauspielerischen Mittel, Seelenabgründe aufzuzeigen, noch untersucht der vordergründige Text Mechanismen von Randgruppenverhalten. Was bleibt, ist ein ätzend langwieriges Dauerstakkato. „Accept yourself“ lautet die schlichte Quintessenz. Zur Illustration schrubbt sich der nackte Akteur im Plastikzuber mit einer Bürste kathartisch ab. Obwohl ironisch gemeint, bringt das ebenso schlagend wie ungewollt den Kern zum Vorschein: der hohe Anspruch ist kaum mehr als eitle Selbstbespiegelung. Gerd Hartmann
Noch bis 15.10., täglich 20 Uhr, Parkhaus Theater Treptow, Puschkinallee 5 (272 79 52).
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