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„Bonnie und Clyde“ in Paris

■ Nachdem in Paris fünf Menschen im Verlauf einer wilden Schießerei starben, erschallen prompt Rufe nach der Wiedereinführung der Todesstrafe

Paris (taz) – Das öffentliche Klima hätte gar nicht günstiger sein können, als Charles Pasqua am Mittwoch abend sein neues „Sicherheitsgesetz“ im Parlament vorstellte. Der französische Innenminister will eine flächendeckende Videoüberwachung, außerordentliche Durchsuchungsvollmachten bei Demonstrationen und eine personelle Aufstockung der Polizei erreichen. „Persönlich“, so ergänzte Pasqua später im Fernsehen, befürworte er auch die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Während das Parlament das Sicherheitsgesetz diskutierte, untersuchten Gerichtsmediziner die Leichen der fünf Opfer einer Pariser Schießerei vom Vorabend. Ein junges Paar – die knapp 20jährige Philosophiestudentin Florence Rey und der 23jährige Jurastudent Audrey Maupin – hatten Dienstag abend eine Polizeiwache im Norden der Stadt überfallen und sich mit Schußwaffen ausgestattet. Mit vorgehaltener Waffe zwangen sie einen Taxifahrer, zu dem belebten Platz La Nation zu fahren. Dort begann ein Schußwechsel, in dessen Verlauf drei Polizisten, der Taxifahrer und der Jurastudent starben. Zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt. Wer bei der wilden Schießerei genau wen traf, ist ungeklärt. Nach Zeugenaussagen starb der Taxifahrer möglicherweise an einer Polizeikugel.

Die Motive der von der französischen Presse „Bonnie und Clyde“ getauften Täter liegen im dunkeln. Bis gestern konnte die Polizei lediglich Aufzeichnungen einer bislang unbekannten „Organisation für revolutionäre Propaganda“ vorweisen, die sie bei den Eltern der jungen Frau gefunden hatte. Die französische Polizei bezeichnet Florence Rey und ihren toten Kompagnon als „Nihilisten, Anarchisten und Außenseiter“. Innenminister Pasqua spricht von einem „psychiatrischen Problem“.

Unter dem Schock der Ereignisse erscholl prompt der Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe, die der sozialistische Präsident François Mitterrand nach seinem Amtsantritt vor 13 Jahren abgeschafft hatte. In der Zwischenzeit hatte vor allem die rechtsextreme „Front National“ die Todesstrafe postuliert.

Pasqua verband sein „persönliches Votum“ für die Todesstrafe „für Vergewaltiger und für Mörder von Kindern, Alten und Amtspersonen“ mit der Ankündigung, daß ab 1995 wieder über das Thema geredet werden könne. 1995 wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Sollte der Nachfolger von Mitterrand aus dem rechten Lager kommen, wäre die alte Diskussion wieder eröffnet. Dorothea Hahn

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