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Zwischen den RillenLe mystère des voix americaines

■ Blick ins Tagebuch: Jack Logan und Boyracer

Heaven can wait? Wer über zehn Jahre lang in Heimarbeit mit diversen Kumpels mehr als 600 Lieder aufnimmt, ohne sie einer Plattenfirma anzudienen oder sonstwie den Zugang zur medialen Welt zu suchen, dem muß irgendwas schwer am Arsch vorbeigehen. So einem nimmt man schon mal ab, wenn er einen Song „Peace O'Mind“ nennt; oder auch, ganz im Gegenteil, „Fuck Everything“.

Jack Logan heißt der Mensch, ein Name wie eine Tarnkappe, Typus bärtiger Biertrinker von nebenan, unhip, t-shirtig und leicht verschwiemelt. Nach Art- School-Versuchen in einer Stadt namens Normal (!) in Illinois und weitgehend unerforschten Wanderjahren habe er das letzte Jahracht in einer Werkstatt in Winder, Georgia mit Autoreparieren zugebracht, weiß der Waschzettel zu berichten. Und möglicherweise wäre es dabei geblieben, hätte Peter Jesperson von „Medium Cool Records“ Logan nicht mit einer seiner Feierabendbands – wechselnden Freundschaftsagglomeraten mit launigen Namen wie Liquor Cabinet oder Dashboard Saviors – in einem lokalen Club gesehen und Druck gemacht.

Das naive Genie und sein Entdecker – das ist natürlich der allerliebste Märchenstoff des Rock 'n' Roll, bevorzugt des „literarischen“. Nicht ohne prophetischen Stolz tritt Jesperson als Logans Max Brod auf, ein Nachlaßverwalter zu Lebzeiten, der, nach bestem Wissen und Gewissen versteht sich, aus all den ihm überlassenen Tapes, Fragmenten und Skizzen eine Art gültigen Korpus zu formen versucht. „Bulk“ heißt das Balg, zu deutsch etwa: Umfang, Großteil, Mehrheit. „I can't begin to tell you how much these songs mean to me“, schließt der Archivar in klassischer Manier sein Editorial, wohl wissend, daß er eine ganz, ganz selten gewordene Ware zu Markte trägt.

Die 42 auf zwei CDs edierten Logan-Stücke wirken denn auch ein wenig wie Lieder eines schwer vereinsamten amerikanischen Eingeborenen, eines autodidaktischen Gitarren- und Stimmenbeschwörers, der die Traditionen Blues, Country, Boogie, Folk – was halt so zur Verfügung steht – zu einer idiosynkratischen Privatsprache zurechtmurmelt. Le mystère des voix americaines gewissermaßen: wie so oft bei Songwritern dieser Art beneidenswert souverän im Abklappern des Fundus, mit Hungerkünstlergitarren, überlieferten Zauberakkorden, „Voodoo Dolls“, Reiten auf dem A-Train, doch gleichzeitig genügend aus der Bahn geworfen, um das Ganze dann doch auf eine schwer zu verwechselnde Weise durchzubuchstabieren. Man wird das Gefühl nicht los, gerade verbotenerweise ein fremdes Tagebuch zu lesen.

Es erzählt von nichts Besonderem: von neuen Gebrauchtwagen, von Austrocknung bedrohten Köpfen, Grillabenden, Gemüsegegenden, Herzanfällen in der Prärie, ertrunkenen Cowboys und Frauen, die ihre Liebhaber in Plastiksäcken unter dem Bett aufbewahren. Das alles aber auf eine derart superentwickelte, hermetische, mit sich selbst und der Welt fertige Weise, daß man sich allenfalls fragt, was jetzt, wo dieses Jahrzehnt-Ei gelegt und das scheue Wesen Logan aus seinem stillen Traben und Äsen in Winder, Georgia aufgestört ist, eigentlich noch kommen soll. Unbekannt verzogen? Jack Logan doesn't live here anymore? Aber darüber brauchen wir uns als Verbreiter von Pop- und Kleinstnachrichten ja keinen Kopf zu machen (wie der Berliner so sagt).

Vielmehr freut man sich ja schon, was über diesen neuerdings als „Hometaping“ rubrifizierten Geheimweg so alles hereingeweht kommt an Bands aus der Mitte von Nirgendwo. Boyracer zum Beispiel klingen wie die archetypische, von Gott abgefallene amerikanische Kleinststadtband, kommen aber aus einer offenbar sehr häßlichen, wenig ausgepolsterten inneren Emigration in UK: Spofforth Hill, Wetherby, West Yorkshire, LS 22 6SF – Hörerbriefe bitte an diese Adresse. Was soll man sagen? Sie haben anscheinend nur Vornamen, sie wären gern Punk, finden aber den Feind nicht mehr, sie haben Songtitel wie „Is It Me Or Is It Cold?“, „The Useless Romantic“ oder „Second Is Always Second“. Ansonsten frickeln sie alles auf eine noch obskurere, noch unnennbarere Art zusammen.

Die spärlichen Liner Notes bieten immerhin eine lexikalische Definition der beiden Wörter „hate“ und „frustrate“: „To dislike exceedingly, to abhor, to detest, to make of no avail, to thwart, to balk, to nullify, to disappoint“ – womit das ABC dieser Musik wenn nicht erschöpfend, so doch hinlänglich beschrieben wäre. Thomas Groß

Jack Logan: „Bulk“. Medium Cool Records/Intercord.

Boyracer: „More Songs About Frustration And Self Hate“. Slumberland Records/RTD.

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