piwik no script img

Nur ein Dorf mit Straßenbahn?

■ Beim Selbstbewußtsein hapert's und zwischen Bremen und dem Umland knirscht es – aber sonst hat Bremen gute Chancen für die Zukunft. Eine Tagung

Bremen steht doch gar nicht so schlecht da, eröffnete gestern ein hoher Besuch aus Bonn den erstaunten BesucherInnen des Stadtentwicklungsforums und hielt ihnen eine Europakarte vor die Nase. Darauf stachen die ähnlich großen Städte Frankfurt und Rotterdam als dicke gelbe Quadrate sofort ins Auge. Aber mit denen dürfe man Bremen nicht vergleichen, sagt Wendelin Strubelt, Direktor der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung. Frankfurt und Rotterdam sind eh europaweit Spitze bei der Dienstleistung bzw. beim Hafenumschlag. Nein, Bremen muß man vergleichen mit den anderen alten Hafenstädten Liverpool, Kopenhagen, Genua ... Und siehe da: Bremen liegt bei der Kaufkraft ganz vorne, noch vor Kopenhagen. Bremen hat nämlich den Strukturwandel besser als andere alte Hafenstädte bewältigt.

Und selbst innerhalb Deutschlands macht sich Bremen recht gut – wenn man es denn mit jenen Städten vergleicht, die ebenfalls in ein ländliches Umland eingebettet sind wie Hannover, Hamburg, Leipzig, Nürnberg oder München. Sicher, die Bruttowirtschaftskraft pro Einwohner liegt in Bremen weit unter der von München. Doch ein Potiential ist die geringe Besiedelungsdichte. Und während in Bremen die Sozialhilfekosten etwa gleichgeblieben sind in den letzten Jahren, stiegen sie in den wirtschaftlich potenteren Städten Hamburg und Hannover auf ein sogar noch höheres Niveau.

Da staunte alles. Stadtentwicklungssenator Ralf Fücks zog flugs seine Schlüsse: In Bremen gibt es eine finanzielle Schieflage, ja, aber man vergesse darüber oft, daß die Bedingungen für die Zukunft gut sind: „In Bremen ist die Kluft zwischen arm und reich längst nicht so stark ausgebildet wie zum Beispiel in Hamburg, die Menschen identifizieren sich mit ihrer Stadt, es gibt funktionierende Stadtteile und eine Qualifikation über den Außenhandel hinaus sowie ein hohes Innovatinospotential.“

Und was macht Bremen aus diesen Möglichkeiten? Ist es derzeit nicht eher ein Dorf mit Straßenbahn als eine Metropole? Beispiel Innenstadtfeste: Einfach jämmerlich, befindet der neue Ortsamtsleiter Mitte/Östliche Vorstadt, Robert Bücking. Am 3. Oktober präsentierte sich ein Bremer Fuhrunternehmen mit Sattelschlepper vor dem Dom und Könnecke sei nicht mehr eingefallen, als ein paar Würste ins Speisezelt zu hängen. Am Geist der Stadt müsse man erstmal bauen, nicht am bloßen Stein. Städtisch vom Geist her sei Bremen doch immer dann, wenn zum Beispiel Blaumeier in der altehrwürdigen Liebfrauenkirche den „Faust“ verulke.

So ganz ohne Bauen geht es denn aber doch nicht, findet dagegen die Direktorin des Übersee-Museums, Viola König. Beispiel Bahnhofsvorplatz: An sonnigen Tagen sitzen Trauben von Menschen „von Baby bis Oma und quer durch alle Schichten“ auf den Stufen zum Museum – doch der Platz gibt nichts her. „Bremen braucht einen Platz für ein Dauerfest, Städte wie Amsterdam, Zürich, Berlin haben ein Dauerfest.“

Nun, manche Voraussetzungen für eine richtige Großstadt gibt es, zum Beispiel die Straßenbahn, gab Gule Iletmis vom Dachverband ausländischer Kulturvereine zu bedenken, nur werden sie nicht genützt. Wer in Gröpelingen wohnt, der fährt nicht in die Neustadt. Bremen, das ist für Gule Iletmis ein Dorf neben dem anderen. Aber das Dörfliche an sich widerspreche noch nicht der Metropole, warf da Hartmut Häußermann von der Humboldt-Uni in Berlin ein, Dörfer gebe es auch in New York. „Die Frage ist nur, verlassen die Leute auch mal ihr Nest und setzen sich dem Fremden aus, nehmen sich die Teile überhaupt wahr?“

Bremens Zukunft – da haben die meisten eine Stadtvision im Kopf, beileibe keine Vision für die Region. Dabei wird aus Bremen langfristig nichts mehr, wenn es sich nicht mit der Region verbündet. Ganz unaufgeregt las der Bonner Raumplaner Strubelt den PolitikerInnen aus Bremen und Umland die Leviten: Wer im regionalen Kontext konkurriert, verliert. Doch noch immer beschimpfen Umland-GemeindedirektorInnen die Bremer als arrogante Pfeffersäcke, und die Bremer fluchen über die „Wegelagerer“, die die Infrastruktur Flughafen, Hafen, Güterverkehrszentrum einfach so mitnehmen.

Von wegen „Wegelagerer“, gab Hans-Michael Heise, Oberkreisdirektor des Landkreises Diepholz zurück, wie gerne würde er zum Beispiel dem flächenarmen Bremen Ausgleichsflächen bieten und dafür die modernen psychiatrischen Einrichtungen nutzen. Nur, das müsse einklagbar festgelegt werden. Kooperation gerne, gab Fücks zurück, aber wenn die Gemeinden weiterhin Gewerbeflächen zu Dumping-Preisen anbieten, dann „schlägt das Imperium zurück“. Man bräuchte eben dringend, lenkte er ein, einen Ehrenkodex, wer wann was subventionieren darf.

Bislang aber gibt es an gemeinsamen Projekten nur die VBN, die Verkehrsgemeinschaft Bremen/Niedersachsen, sowie für den Sondermüll ein gemeinsames Konzept. Kooperieren will man aber bald auch beim Hausmüll und der Werbung. Zwar haben Außenstehende den Eindruck, daß die Arbeitsgemeinschaften nur reden und reden, ohne daß sich was tut, doch diesen Vorwurf ließen die Umland-VertreterInnen nicht auf sich sitzen: „Das Reden darf man nicht abwerten, Vertrauen wächst schließlich nur langsam.“ Christine Holch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen