: Schwarz-Grün setzt Rot unter Druck
Selbstbewußte Grüne verhandeln nach der Kommunalwahl in NRW vielerorts mit der CDU / Schwarz-grüne Bündnisse gegen roten Filz und Betonkopfmentalität ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Nach der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen wird die politische Farbenlehre neu gemischt. Dafür sorgen erheblich gestärkte Bündnisgrüne und vor Ort geläuterte Christdemokraten. Vergessen die Zeiten, in denen die einen in Grünen nur verkappte Linksextremisten sehen mochten oder Konservative den anderen zu allererst als finstere Reaktionäre galten. Ganz unspektakulär verhandeln Grüne und Schwarze inzwischen in vielen Städten und Gemeinden. Der Wuppertaler Fraktionssprecher von Bündnis 90/Grüne, Horst Westmeier, beschreibt die neue Lage so: „Die ideologische Komponente tritt bei den Verhandlungen zurück. Wer glaubt, Grün-Schwarz sei ausgeschlossen, der irrt.“
Nach dem kommunalen Absturz der FDP sind die landesweit auf 10,2 Prozent angewachsenen Grünen in einer komfortablen Lage. In über 60 Städten und Kreisen werden sie als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Oft wird es Rot-Grün geben. Etwa in Münster, Bonn oder Bielefeld, wo SPD-Bürgermeisterinnen ihre christdemokratischen Amtsvorgänger beerben. Andernorts liegen die Dinge komplizierter. SPD verloren, CDU und Grüne gewonnen, FDP raus, so sieht es etwa in Wuppertal, Mülheim an der Ruhr oder im Kreis Aachen aus.
„Weite Teile der Bevölkerung in Wuppertal möchten gewiß Rot- Grün“, sagt Horst Westmeier, „aber so einfach läuft das nicht.“ In vielen Fragen seien die Unterschiede der beiden Altparteien vor Ort „ohnehin nicht groß“. Deshalb werde mit beiden „ernsthaft verhandelt“. Der Ausgang sei noch völlig offen, „denn inzwischen deutet sich an, daß es mit beiden möglich ist, einen Wandel in dieser Stadt zu bewirken“. Dieser Wandel schließt die volle Einbindung von grünem Personal ins Machtgefüge der Stadt ein. Die für die SPD so bequemen Zeiten grüner Tolerierung ohne personelle Ansprüche sind damit passé.
Tiefe Gräben, „die der 40jährige SPD-Filz in dieser Stadt gezogen hat“, liegen nach den Worten von Peter Holderberg auch in Mülheim zwischen Rot und Grün. Wenn es bei der SPD nicht zu einer „Selbstreinigung kommt“, so der Fraktionsgeschäftsführer der Mühlheimer Grünen, „zwingen die uns Grün-Schwarz auf“. Vor der Wahl hatte der SPD-Fraktionschef Hans Meinolf noch in großen Anzeigen getönt, daß es „mit mir keine Koalition mit den Grünen gibt“. Nun, nach dem Verlust von knapp zehn Prozent der Stimmen, möchte bei der SPD daran niemand mehr erinnert werden. Inzwischen ist Meinolf zurückgetreten, aber der neue Fraktionschef Dieter Wiechering, im Hauptberuf Betriebsrat beim Atomkraftwerksbauer KWU, macht für die Grünen nichts besser. Nach den ersten Verhandlungen mit der SPD schätzt Holderberg die Lage als „sehr schlecht“ ein. Mit der CDU klappt es offenbar besser. Das ist jedenfalls der Eindruck des CDU- Kreisvorsitzenden Andreas Schmidt, der fest daran glaubt, „daß Schwarz-Grün durchaus eine Chance hat“. Auch Holderberg hält das nicht für ausgeschlossen, obgleich vielen Grünen in dem eher linken Stadtverband bei dem Gedanken nicht gerade warm ums Herz wird.
Tiefe Wunden hat die bisher mit absoluter Mehrheit regierende SPD auch den Grünen im Kreis Aachen geschlagen. „Es gab“, so beschreibt die Vorstandssprecherin der Grünen, Rosi Blasius, die Erfahrungen mit den Sozis, „sehr starke menschliche Verletzungen.“ Fraktionsgeschäftsführer Volker Wiegand-Majewsky ortet das Verhältnis „beim absoluten Gefrierpunkt“. Als freundlich, umgänglich, verbindlich charakterisiert Blasius dagegen den Umgang mit den Christdemokraten. Auch inhaltlich sieht die Sprecherin nach einem ersten Gespräch mit der CDU keine „unüberbrückbaren Schwierigkeiten“. Während in der Stadt Aachen die Chemie zwischen Rot und Grün stimmt, ging schon das erste Gespräch mit der SPD-Kreistagsfraktion in die Brüche. Gestern abend sollte auf Parteivorstandsebene ein neuer Versuch starten. Ziehen die Sozis nicht mindestens zwei ihrer größten Fraktionsbetonköpfe zurück, steigt auf Kreisebene wohl Schwarz-Grün. Das wäre dann eine Premiere, denn die schwarz- grüne Annäherung während der letzten Wahlperiode in Hückeswagen, Schlangen und Neunkirchen- Vlyn reichte über die punktuelle Zusammenarbeit nie hinaus. Die Zeiten, da der CDU-Landesvorsitzende Norbert Blüm gegen solche lokalen Bündnisse Stimmung machte, sind auch in NRW endgültig dahin. Inzwischen raspelt die CDU-Parteispitze Süßholz: Auf kommunaler Ebene, so die neue Botschaft des CDU-Generalsekretärs Herbert Reul, könne Schwarz- Grün „durchaus richtig und sinnvoll sein“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen