: Der Krieg um Bihać eskaliert
Serbische Armee rückt auf nordwestbosnische Stadt Bihać vor / Offensive wird von den Söldnern des abtrünnigen Muslims Abdić unterstützt ■ Von Erich Rathfelder
Sarajevo/Berlin (taz) – Der Beschluß des Weltsicherheitsrates, Nato-Luftangriffe auch in der serbisch besetzen kroatischen Krajina fliegen zu dürfen, ist von der bosnischen Regierung ausdrücklich begrüßt worden. Ministerpräsident Haris Silajdzić vermutete sogar, daß es sich bei den jetzigen Beschlüssen um einen Positionswechsel innerhalb der UNO handele. Er forderte die Nato zu sofortigen Angriffen auf die Krajina auf. Die bosnische Regierung hatte in den letzten Monaten die Weltorganisation wegen ihrer unentschiedenen Haltung mehrfach scharf kritisiert.
Der Grund für die Drohung der UNO ist direkte Folge der wiederholten Luftangriffe gegen die bosnisch-muslimische Enklave und UNO-Schutzzone um Bihać. Dabei sind nach Angaben der UNO sowohl am Freitag bei Angriffen auf die Stadt Bihać wie am Samstag bei Angriffen auf die Stadt Cazin Napalm- und Spitterbomben eingesetzt worden sein. In Cazin habe es neun Tote gegeben, melden kroatische Rundfunksender. Mit dem Einsatz dieser Waffen eskalierten die Serben den Krieg, hieß es in Zagreb. Sorgen macht der UNO auch das Schicksal der 1.193 Unprofor-Soldaten aus Bangladesch, die in Bihać stationiert sind und deren Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann. Weiterhin ist die Versorgung mit humanitären Hilfsgütern nun schon seit Wochen unterbrochen. Die vorher geleistete Hilfe wurde von UNHCR-Sprecher Peter Kessler als „schon gering genug“ chrakterisiert, sie betrug während des Jahres 1994 monatlich lediglich ein Kilogramm an Lebensmitteln pro Kopf der Bevölkerung.
Eines der serbischen Flugzeuge, die von dem Militär-Flugplatz Odbina 60 Kilometer südwestlich von Bihać aufgestiegen waren, zerschellte nach dem Bombenabwurf an einem Wohnhaus. Der Pilot soll dabei getötet worden sein. Dies hat jedoch die Anstrengungen der serbischen Truppen, die Enklave zu erobern, nicht vermindert. Auch gestern wurden schwere Kämpfe aus Velika Kladusa, der im Norden der Enklave liegenden Stadt und auch aus Bihać gemeldet. Serbische Panzer hätten mehrere Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, hieß es aus Sarajevo. Bei den Angriffen sind sowohl serbisch-bosnische, serbische Truppen aus der Krajina wie auch Truppen des bosnischen Muslimführers Fikret Abdić beteiligt.
Das ehemalige Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums, Abdić, verfolgt seit mehr als einem Jahr einen Kurs der Konfrontation mit der bosnischen Führung. Nach seinem vergeblichen Versuch, Präsident Alija Izetbegović zu stürzen, rief der Geschäftsmann und Chef des früher erfolgreichen Agrarunternehmens Agrokomerc den Ministaat „West-Bosnien“ aus, der die Region um Velika Kladusa und damit das Gelände, auf dem die Fabriken und Verwaltungsgebäude des Konzerns konzentriert sind, umfaßte. Schon im November 1993 begann Abdić nach Aufstellung einer eigenen Armee die Regierungstruppen zu attackieren. Dabei stützte er sich auch auf eine große Anzahl serbischer Söldner aus der Krajina.
Erst mit dem Washingtoner Abkommen vom Februar dieses Jahres, der den Krieg zwischen Kroaten und Muslimen in Bosnien beendete, wurde seine Stellung geschwächt. Im Sommer wurden seine Truppen von der Regierungsarmee geschlagen. Abdić, seine Armee und viele Angestellte seines Konzerns – zusammen etwa 30.000 Menschen – flohen aus dem Gebiet in die serbisch besetzte Krajina, ihnen wurde jedoch die Weiterfahrt nach Kroatien untersagt. Seither lebten sie in Flüchtlingslagern. Mit dem Beginn der serbischen Offensive gegen Bihać wurde die Abdić-Armee mit serbischen Waffen versorgt und in den Kampf geschickt.
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