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Stammtischgerede vom Gemeinwohl

Allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen – eine falsche Antwort auf richtige Fragen. So das Fazit einer Tagung der Zentralstelle Kriegsdienstverweigerer in Bonn.  ■ Von Hans Hermann Kotte

Lassen sich gute Taten erzwingen? Diese Frage stellte am Wochenende ein Fachkongreß der „Zentralstelle für Recht- und Schutz der Kriegsdienstverweigerer“ in Bonn. Geprüft wurde die Forderung führender Politiker von CDU/CSU und FDP nach der sogenannten allgemeinen Dienstpflicht für junge Frauen und Männer. Sie soll gesellschaftliche Probleme wie der Pflegenotstand, die Umweltzerstörung und die beklagte „Entsolidarisierung“ und „Individualisierung“ schnell und billig beseitigen.

Zu der süßen und ehrenvollen Melodie vom Gemeinwohl durch Zwangsarbeit tanzte dieser Kongreß nicht: Ein Dienst, der – wie bisher Wehr- und Ersatzdienst – mit der Androhung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe erzwungen werde, sei nicht akzeptabel. „Pflicht ist der Dienst freier Menschen, Gemeinwohl ist heutzutage eine pluralistische Angelegenheit“, sagte der Präsident des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde. Auch volkswirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch sei ein solcher Zwangsdienst kontraproduktiv, so das Fazit der Tagung.

Forderungen nach einer allgemeinen Dienstpflicht gibt es bereits seit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in den Jahren 1955/56. Doch egal, ob es Handwerksinnungen, Altenheimketten, Theologen, die CDU, mittelständische Unternehmer oder Seniorenverbände waren, die die Dienstpflicht forderten – immer scheiterten sie am Veto der Gewerkschaften und dem Verweis auf die jüngste Vergangenheit: den Reichsarbeitsdienst der Nazis.

Auf der Liste der Befürworter finden sich Namen wie Heinrich Lummer (CDU), Dieter Julius Cronenberg (FDP) und Ulf Fink (CDU). Auch einige Grünen flirten neuerdings mit der allgemeinen Dienstpflicht. So redete Lukas Beckmann in Bonn davon, die Frage „unideologisch“ zu betrachten. Ähnliches war kürzlich auch von Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer zu hören. Offensichtlich ein Männer-Frauen-Konflikt, denn selbst bei der CDU sind die Frauen dagegen, zumindestens Rita Süssmuth, Angela Merkel Hanna-Renate Laurien, Hannelore Rönsch und Roswitha Verhülsdonk.

Obwohl das Grundgesetz (Artikel 12) und internationale Verträge (Vereinte Nationen, Europarat, Internationale Arbeitsorganisation) eine solche Dienstpflicht ausdrücklich verbieten, lassen einige Wehr- und Sozialpolitiker von CDU/CSU und FDP nicht von der Idee ab. Daß neben dem klaren Kontra von PDS und SPD und dem aufgeweichten Kontra der Grünen auch eigene Partei- und Fraktionsbeschlüsse die Einführung der Dienstpflicht verhindern, stört die schwarz-gelben Einzelgänger wenig.

Die jüngsten Plädoyers für den neuen Zwangsdienst argumentieren mit der sich ständig vergrößernden „Wehrungerechtigkeit“. Wegen der geschrumpften Bundeswehr können von den vorhandenen Wehrpflichtigen höchstens noch die Hälfte eingezogen werden, während auf der anderen Seite nahezu alle Zivildienstleistenden auch tatsächlich dienen müssen.

Um also die allgemeine Wehrpflicht zu „retten“ und gleichzeitig ein Zusatzheer vorgeblich billiger Sozialhelfer zu erschließen, schlugen kürzlich sowohl Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), als auch der damals noch amtierende Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) ein allgemeines Pflichtjahr vor. Schützenhilfe erhielten sie vom sozialpolitischen Vordenker der CDU, Warnfried Dettling, und dem EU-Beamten Marcell von Donat. Während Dettling — quasi als Feminist — mit Hilfe des Pflichtjahres die „Männer sozial alphabetisieren“ möchte, preist von Donat den Internationalismus: Im Rahmen eines „europäischen Jugendwerks“ könne die allgemeine Dienstpflicht – abgeleistet in Kiel aber auch Nizza – „Impfstoff gegen die provinzielle Beengtheit“ sein. Auch Helmut Schmidt, Gräfin Dönhoff und der TV-Moderator Ulrich Wickert sind schon lange auf der Suche nach dem verlorenen Gemeinsinn.

Gegen solche hehren Motive, führten die Kongreßteilnehmer knackige Argumente ins Feld: So würde eine allgemeine Dienstpflicht die Frauen, die ohnehin den Löwenanteil der sozialen Arbeit verrichten, noch stärker belasten. Jobs für weniger qualifizierte Arbeitskräfte würden auf dem Markt noch knapper. Schließlich würde der Pflegenotstand sich eher noch vergrößern, weil das Sozialprestige von professionellen Kräften weiter abgewertet würde.

Ein weiteres Gegenargument sind die erheblichen Kosten einer solchen Dienstpflicht. Die Ex-Jugendministerin Angela Merkel (CDU) bezifferte die Kosten für das personell und bürokratisch höchst aufwendige Zwangssystem auf 21 Milliarden Mark. Schätzungen des Mainzer Politologen Hanno Beck lauten gar: 35 Milliarden Mark Kosten pro Dienstpflichtjahrgang. Noch düsterer wird das Bild, wenn die „volkswirtschaftlichen Opportunitätskosten“ bei Einführung einer sozialen Dienstpflicht berechnet werden. Dies sind die „indirekten“ Kosten, die entstehen, weil die herangezogenen Erwerbspersonen nicht dem ihren Präferenzen entsprechenden Beruf nachgehen können. Plus die Summen, die dem Staat an Steuern und Beiträgen für die Sozialversicherungen entgehen: insgesamt 39 Milliarden Mark.

Selbst wenn man diese Summe gegen den volkswirtschaftlichen Nutzen aufrechnet, bleiben laut Beck pro Jahrgang zwischen sechs und 21 Milliarden Mark Miese, das heißt Nettokosten, übrig. Regina Görner vom DGB-Bundesvorstand plädierte am Ende der Tagung dafür, die Diskussion über das Pflichtjahr aus dem „Luftraum über den Stammtischen“ herauszuholen. Wenn sie dort zu lange herumwabbern, könne es wie bei der „Asyldebatte“ laufen. „Dann zählen Sachargumente nichts mehr, und die wahren Probleme werden zugedeckelt.“

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