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Das Ende der Sony-Story

Japans weltweit bekanntester Unternehmer, Akio Morita, ist zurückgetreten / Nach dem Einstieg Sonys in Hollywood drohen Milliardenverluste  ■ Aus Tokio Georg Blume

Erst kürzlich sandte er Freunden Signale der Besserung. Otto Graf Lamdsdorff, sein langjähriger deutscher Bekannter, erlebte noch Anfang November in Tokio einen aufgeweckten Akio Morita – allerdings nur am Telefon. Zuvor hatte die Welt von dem bekanntesten und wohl auch charmantesten Repräsentanten der japanischen Wirtschaft lange nichts mehr vernommen.

Bis dann vergangenen Freitag in Tokio eine Bombe einschlug: Der weißhaarige Sony-Chef, 73jährig und wahrscheinlich fürs Leben an den Rollstuhl gebunden, trat als Vorsitzender des von ihm 1946 gegründeten Konzerns zurück. Vor einem Jahr hatte Morita einen Gehirnschlag erlitten und seine täglichen Funktionen im Unternehmen niederlegen müssen. Niemand also durfte sein Rücktritt überraschen, und dennoch erwischte er ein ganzes Land auf dem falschen Fuß.

In Übersee war man sich des Ereignisses durchaus bewußt: „Moritas Entscheidung markiert einen Meilenstein in der modernen Industriegeschichte Japans“, befand das Wall Street Journal, war Morita doch Wegbereiter bei der Kommerzialisierung des ersten Transistorradios oder der Erfindung des Walkmans gewesen.

Doch die Japaner wollten diese Geschichten offenbar nicht mehr hören. In Tokio vermeldeten die Blätter nur in kleinen Spalten das Karriereende eines Mannes, der bis Anfang der neunziger Jahre als Personifizierung des japanischen Wirtschaftserfolges gefeiert wurde und sich noch im letzten Jahr anschickte, den Vorsitz von Japans einflußreichsten Unternehmerverband Keidanren zu übernehmen.

Was war vorgefallen, das Morita jetzt aus den Schlagzeilen verbannte? Mied Japans Öffentlichkeit den weltberühmten Wirtschaftboß, weil sie Morita längst zu den Verlierern zählte? Sonys verbleibender Topmanager Norio Ohga dagegen konnte kaum verbergen, daß für ihn und den Konzern in diesen Tagen eine Welt zusammenbrach – zumindest was das öffentliche Image und damit auch das eigene Selbstbewußtsein betraf.

Bei Sony glaubte man bislang an die eigene Genialität. Aber auch Ohga wird nie mehr jenes universale Managertalent verkörpern, dem es noch in diesem Jahr gleichzeitig gelang, ein 60 Milliarden Mark Umsatz schweres Unternehmen zu führen und als Hobby-Dirigent ausgiebige Konzerttourneen in Österreich abzuhalten.

Kühl stellte ein japanischer Branchenbeobachter fest: „Das Zeitalter Moritas, in dem es genügte, Elektronikgeräte zu verkaufen, ist abgelaufen. Ich würde nun gern etwas über die Management-Strategien Ohgas erfahren.“ Doch die Antwort blieben auch Experten schuldig. Denn tatsächlich hatte mit dem lautlosen Abgang Moritas auch die beispiellose Erfolgsstory Sony ein jähes Ende gefunden. Nippons Blätter waren nur höflich genug, diesen Teil der Geschichte nicht auf den Titelseiten zu drucken.

Vor zehn Tagen hatte das Sony- Management einen spektakulären Offenbarungseid leisten müssen: In der Halbjahresbilanz ließ man sagenhafte vier Milliarden Mark für die erst 1989 für sechs Milliarden Mark erstandenen Columbia- Studios in Hollywood abschreiben. Aufgrund des Einbruchs der amerikanischen Tochter und des Scheiterns des großangelegten Rettungsversuches droht Sony nunmehr ein Milliardenverlust, der japanische Rekorde brechen könnte.

Gescheitert war das Erfolg gewöhnte Sony-Management vor allem dort, wo es sich am wenigsten auskannte: im Stargewimmel der amerikanische Filmbranche, wo bei Mißerfolgen Milliarden im Nu verfliegen. Hier rächte sich bitter, daß Sony-Präsident Ohga seit langem Mozart den Vorzug vor Madonna und George Michael gab. Dessen Prozeßklage gegen Sony und viele andere, die folgten, symbolisierten das japanische Star- Mißmanagement der letzten Jahre.

Vermutlich aber ist das Ende der Sony-Story noch längst nicht geschrieben. Denn wenn stimmt, was die Auguren aus Cyberspace verkünden, daß nämlich in Zukunft ganze Industriebranchen innerhalb weniger Jahre unter dem Stichwort Multimedia verschmelzen werden, dann stimmte die Erfolgsgeschichte von Transistorradio und Walkman schon lange nicht mehr.

Womöglich war Morita sogar der erste, der das erkannte und mit seinen halsbrecherischen Hollywood-Investitionen einen Ausweg suchte. Die meisten Japaner sind ihm bis dahin gefolgt – den Mißerfolg aber wollen sie ihm heute nicht verzeihen. Zumal der Erzkonkurrent Matsushita, der größte Elektronikkonzern der Welt, mit Steven Spielberg in Hollywood derzeit gutes Geld verdient.

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