: Geld ist das beste Medikament
Gipfel am Weltaidstag: 42 Spitzenpolitiker wollen die Wende im Kampf gegen die Pandemie einleiten. Teilnehmerstaaten verpflichten sich in Paris zu stärkerem Engagement. Aber finanzielle Zusagen fehlen.
Es war in einem Berliner Workshop zur Pflege von Aidskranken. Eine ugandische Krankenschwester wurde aufgefordert, über die Arzneien zu berichten, die sie den Kranken gebe. Als Antwort sagte sie nur einen Satz: Es gibt keine! Auch als dieses Jahr die erfreuliche Studie über den Einsatz des Aids-Mittels AZT bei Schwangeren vorgestellt wurde, mußte immer wieder darauf hingewiesen werden, daß dieses Mittel in Afrika und Asien unbezahlbar ist. Allein dieses Jahr haben 700.000 HIV-infizierte afrikanische Frauen ein Kind geboren. Jedes dritte Baby hat sich infiziert. Mit AZT könnte diese Rate auf unter zehn Prozent gedrückt werden. Könnte.
Afrika und Asien trifft die ganze Wucht der Pandemie. Dort leben neun von zehn Infizierten, und sie haben nicht die Mittel, den Kampf gegen Aids zu gewinnen. Die reichen Länder müssen „endlich ihren Job tun und helfen“, fordern Aids-Aktivisten und WHO seit langem.
Die spektakuläre Wende, die Selbstverpflichtung der Industrieländer, zu einem größeren Einsatz in der Aids-Bekämpfung, soll heute in Paris eingeläutet werden. Doch der große politische Aids- Gipfel wird ein kleiner. Ob er mehr wird als eine Goodwill-Veranstaltung müssen die nächsten Monate zeigen. Die Zeit drängt.
Nicht 200 wie ursprünglich geplant, sondern 42 Spitzenpolitiker werden in Paris erwartet, darunter nur 15 Staatsoberhäupter. US-Präsident Clinton, dessen Teilnahme ein Signal gewesen wäre, kommt ebensowenig wie andere Größen der Weltpolitik. Auch Kanzler Kohl hat lieber seinen Gesundheitsminister geschickt.
Ruanda, das weltweit am heftigsten von Aids betroffene Land, fehlt in Paris ebenso wie Kuba.
In der vorab veröffentlichten Schlußerklärung verpflichten sich die Teilnehmer dem Kampf gegen Aids gegen Armut und Diskriminierung eine stärkere Priorität einzuräumen, „mit Leidenschaft“ und „in Solidarität mit den Betroffenen“ zu handeln. Dieser Erklärung soll die gesamte Weltgemeinschaft beitreten. Sie steht allerdings schon jetzt im Widerspruch zur realen Aids-Politik vieler Länder. Mit den neuen russischen Zwangstests für Ausländer ist sie sowenig vereinbar wie mit kubanischen Internierungslagern und US-amerikanischen Einreiseverboten. Auch die Bundesregierung müßte ihre Politik neu definieren.
Also ein wertloser Gipfel? Ein Meeting ohne konkrete finanzielle Verpflichtungen, ohne jene berühmten drei Milliarden Dollar zusammenzukriegen, die ein weltweit erfolgreicher Abwehrkampf jährlich kosten würde?
WHO-Vertreter warnten gestern vor überzogenen Erwartungen. Für sie ist Paris ein erster Schritt. Dieselbe WHO hat allerdings selbst immer wieder auf die Dringlichkeit hingewiesen. Den Regierungschefs wird jetzt ein Zeitbudget zugestanden, das die Krankheitsbekämpfung nicht erlaubt. Infektionen, die heute nicht verhindert werden, werden in zehn Jahren die Krankenzahlen nach oben treiben. Andersherum: Das Geld, das der Aids-Bekämpfung heute verweigert wird, muß innerhalb der nächsten Jahre, wenn die Pflegekosten explodieren, doppelt und dreifach bezahlt werden.
Die WHO hat zum Weltaidstag nochmals die aktuellen Zahlen vorgelegt. 17 Millionen Menschen sind weltweit mit HIV infiziert, eine Million Kinder. Und auch heute werden sich 6.000 Menschen neu mit dem Virus anstecken. Allein mit Geld, dem wichtigsten Medikament gegen Aids, ließen sich mehr als die Hälfte der Ansteckungen verhindern. Manfred Kriener
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