Zwischen den Rillen: Die Spitzenklöppler
■ Aufragende Anbauten: Stein und Jever Mountain Boys
Ich habe die Einstürzenden Neubauten neulich in Potsdam gesehen, wo sie die Theatermusik zu Werner Schwabs „Faust: Mein Brustkorb: Mein Helm“ auf Küchentische klöppelten – und war mal wieder von den Socken, wie bruchlos es diese Kombo geschafft hat, in ihrem eigenen Klischee aufzugehen: Bargeld, dem mit der Rolle des Mephistopheles sichtlich ein Schülerwunsch in Erfüllung gegangen war, Unruh und Chung, die mitklöppelten, so gut es ging, Hacke, der zwischendurch mal einige Morricone-hafte Akkorde über den Orchestergraben schicken durfte, alle in dandyhaften Dinnerjackets bis auf F.M. „Mufti“ Einheit, der sich in seinen ethno-inspirierten Hosenscheißerhosen als Oberzeremonienmeister der Tischklöppler verewigte – ein lebendes Bild finalen Kulturwollens und als solches nicht frei von Schrecklichkeit.
Gerade an deutschen Bühnen allerdings besteht nach wie vor eine ansehnliche Nachfrage nach derlei Attraktion, so daß das Unternehmen Neubauten seit einiger Zeit sogar über florierende Tochterfirmen verfügt. Nicht anders muß man es wohl nennen, wenn Einheit unter dem Namen Stein Platten produziert, denn trotz der Beteiligung von Ulrike Haage und Katharina Franck (Ex-Rainbirds), ist es seine ureigene Rassel-, Klapper- und Klöppelkunst, die den unmittelbaren Wiederkennungswert des Projekts ausmacht, und zwar bis hin zum Waschzettel. „Genialen Telepathen gleich“, heißt es dort, „tauchen Franck, Einheit und Haage in fremde Wirklichkeiten, um spielerisch ihre eigene zu finden, atavistische Zwischenräume zu besetzen und Erwartungen immer wieder aufzubrechen, denn dort – an der Schnittlinie zwischen Überzeugung und Inspiration – liegt die Front.“
Natürlich ist es gerade dieses programmheftmäßige Hochhubern eines theatralen Eklektizismus zum avantgardistischen Grenzgängertum, das einem die besseren Momente dieser Platte vermiest. Katharina Franck hat ja an sich schon ein Händchen fürs Naive und Sentimentale, tagebuchartig sinniert sie in „Berlin den 13. 6. 94“ über Sein, Zeit und die Leiden „junger, waidwunder Wölfinnen“; Kurt Weills „Trouble Man“ klingt in ihrer Interpretation wie ein unterdrückter Vorläufer von Andrew-Lloyd-Webbers Schicksalsgemälde der Evita Peron, und wenn sie bei ihrer waschecht auf portugiesisch nachempfundenen Version von Carlos Lyras Samba-Chanson „Maria Ninguém“ in den Credits für „Gesang und Zuckerguß“ verantwortlich zeichnet, meint man sogar, ein wenig Ironie herausglitzern zu sehen aus dieser superbittersüßen Aufbereitung des ganz großen Mädchengefühls.
Andererseits scheint Katharina Franck in einem masochistischen, ja traumatischen Verhältnis zur Schlagersängerin in sich befangen, so daß sie zwanghaft immer wieder auf Metapher, Überhöhung, Dichtung hinaus will. Und da sind sie nun alle im Komplott: Haage mit ihrer Moritatenorgel wie aus der sonntäglichen Matinée, Franck, die in „Rosettas Tanz“ mit büchnerscher Verzeiflung kokettiert, und Einheit, vor dessen pathetischer Verkunstung von Goethe bis Jelinek ohnehin keiner sicher ist. „König Zucker“ ist Kulturschlagertum: in Kunstharz gegossene Selbstporträts der Artisten als mutwillige Kolorateure – und lokale Unart obendrein. Im Folklorismus Berliner Poeterei besetzen Stein in etwa die Position, die Klaus „Tanze, Gerda, tanze“ Hoffmann Ende der Siebziger inne hatte: nicht mehr ganz taufrisch und für Studenten.
Berliner Weltbürgertum meint man dagegen ausgerechnet in Gestalt der Jever Mountain Boys zu begegnen, dem Kneipenmannschafts-Seitenprojekt des Neubauten-Gitarristen Alexander Hacke. Zwölf Coverversionen sollt ihr sein, haben die fünf Großfreunde sich gesagt, und unter dem feinflüssigen Titel „Bury The Bottle With Me“ einfach ihre Lieblingsschnulzen aufgenommen – Country-Klassiker großenteils, Themes from an imaginary Western, aber auch Stücke, deren sentimentale Innereien erst durch behutsam-brutales Arrangieren (mit echter Lapsteel Gitarre!) hervorgekitzelt wurden. Hacke singt Cochran, Hazlewood, Waits, Lennon/McCartney, Motörhead, alles in einem grandseigneuralen, akzentfreien Englisch, wie man es sich auf weitschweifigen Touren durch die Goethe-Institute dieser Welt und Intimfreundschaft mit allerhand fahrenden Rockersleuten erworben haben mag.
Das Lebemannmäßige daran war natürlich immer zugleich Bestandteil jener dandyistisch- countryesken Seitenlinie der Neubauten, die auch zu Wahlverwandtschaft und Kooperation mit Nick Cave geführt hat, aber das Befreiende an diesem Hobby-Unternehmen ist, daß nichts mehr wirklich bewiesen werden muß. Man hat's drauf, Leute, das seht ihr doch, das könnt ihr hören, und die Frauen, deren Schlechtigkeit hier beklagt wird, sind ohnehin mehr fixe Ideen als echte Gründe für den Blues – Brothers are doin' it for themselves (zu diesem Wunschunternehmen paßt dann auch, daß auf der anderen Seite des Tresens, an dem die Jever Mountain Boys einst geschmiedet wurden, ein Häuflein Kellnerinnen sitzt, die unter dem Namen „Even Cowgirls get the Blues“ so etwas ähnlich Präriesierendes machen).
Gelegentlich streift sogar ein Hauch von Parodie das grandiose Dahingaloppeln des großstädtischen Solitärs, und das ist gut so. Sonst könnte man auch hier auf die leicht alptraumhafte Idee kommen, in einem Theaterstück zu sitzen, aus dem es kein Erwachen mehr gibt. Es heißt „Down And Out On Oranienstraße: Mein Brustkorb: Mein Helm“. Oder so ähnlich. Thomas Groß
Stein: „König Zucker“ (Our Choice/RTD).
Jever Mountain Boys: „Bury The Bottle With Me“ (Blue Million Miles/Indigo).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen