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Der große schwarze Signifyer

Zivilisiert: Black Male – eine New Yorker Ausstellung geht den Bildern (schwarzer) Männlichkeit in der zeitgenössischen Kunst Amerikas nach  ■ Von Harald Fricke

Der Titel ist von einem weißen Künstler geborgt. 1982 brachte Robert Mapplethorpe einen hübsch pornografischen Bildband heraus: „Black Males“ zeigte stückweise nackte schwarze Männer mit balletthaften Hüften, kräftiger Oberschenkelmuskulatur und knapp knielangen Schwänzen. Der große schwarze Signifyer: im Bildausschnitt fragmentarisiert, auf Schemen reduziert und zugleich mit Wünschen befrachtet, überdeterminiert.

Für den Rechtsaußen-Republikaner Jesse Helms waren die Fotos ein Skandal, der weißen Schwulenbewegung und Kunstfotografie galten sie als ein freudig befreiendes Ereignis. Schwarze Kulturkritiker dagegen ärgerten sich über die Art der Darstellung von Blackness als Fleischbeschau und warfen dem genitalfixierten Fotografen eine Fetischisierung des Körpers vor, die nur das Objekt seiner Begierde wiedergebe, nicht aber den Schwarzen selbst. Da werde das schiere Fleisch ikonografisch in Szene gesetzt, als sexuelle Engführung ohne jede soziale Konzeption dahinter. Der Restafroamerikaner war bestimmungslos in den Bildern verschwunden, ganz Penis für einen anderen geworden (was wiederum eine geheime Anziehungskraft auf schwarze Schwule ausübte – neue Konfigurationen sexueller Dominanz taten sich auf).

Der wilde Penis wird in Glamour gehüllt

Gleich 13 dieser Fotografien von Robert Mapplethorpe hängen zur Ausstellung „Black Male“ im New Yorker Whitney Museum. Ihnen gegenüber wurde eine Serie mit vier Foto-Prints des jungen New Yorker Künstlers Lyle Ashton Harris gestellt, der Mapplethorpes stramme Beefcakes der Disco- und Darkroom-Ära parodiert. Harris' Selbstportraits sind schwule „Constructs“, sie spielen mit der Authentizität bildgewordener schwarzer Männlichkeit und deren Definition durch das eine: Harris aber trägt wasserstoffblonde Perücken und Tüllschleifen um sein angenehm unspektakuläres Geschlecht. Der wilde Penis scheint zivilisiert, gebändigt und wie ein Osterhäschen verpackt. Statt sich von weißen Projektionen auf schwarze Sexualität bestimmen zu lassen, schaut Harris selbst in den Spiegel: Ist da Josephine Baker zu sehen oder Black Male?

Anders als in einem längeren Spiegel-Essay zum Vormarsch der Ghettos als US-Trend vermeldet, geht es bei „Black Male“ nicht um das durch symbolische Macht und Gewalt aufgeladene Bild vom schwarzen Mann in der Kunst. Ice-T, Public Enemy oder Michael Jordan sind bloß diffuse Modelle für eine Welt aus Sport und Unterhaltung, die von Medien zwar verwaltet, aber kaum noch festgelegt oder gar erzeugt werden kann. Durch Popkultur sind schwarze Künstler zu Produzenten geworden, ohne sich auf das Modell klassischer Autorenschaft einzulassen. Wenn Ice Cube reimt, sind Ich und Straße meistens eins. Das aber ist keine naive Unmittelbarkeit, sondern Strategie. Blackness – das vormals magische Feld läßt sich in keine beschreibende Ordnung mehr bringen, deshalb das unentschiedene Changieren zwischen Streetcredibility im Gangsta-HipHop und Michael Jacksons inszenierter Künstlichkeit.

Ästhetik des Verschwindens

Entsprechend übt sich „Black Male“ auch nicht allein in der Phänomenologie der Stars, sondern untersucht den sich wandelnden Begriff von Männlichkeit überhaupt, „der sich in seiner Vielfalt gerade am Beispiel der Afroamerikaner zeigen läßt“. Freundlich entschlüpft Thelma Golden, die die Show konzipiert hat, dem Verdacht übermäßiger Afrozentrierung. „Das schließt aber nicht notwendigerweise weibliche Aspekte oder die von weißen Männern aus. Die Ausstellung soll dokumentieren, wie sich allgemein der Dialog über Rassen- und Gender-Fragen weiterentwickelt hat.“

Im Museum zumindest ist das bereits in den sechziger Jahren von James Baldwin formulierte „Drama der Rassenbeziehung“ in größere Strukturen aufgelöst. Die ambivalente Repräsentation von Schwarzen im weißen Diskurs hat sich umgekehrt, ohne die Vorzeichen verändern zu müssen: Statt mit Bildern von Farbigen deren kollektive Identität aus der Abgrenzung zu beschreiben, möchte „Black Male“ alles nur als Netzwerk aus Differenzen denken. Andres Serranos „Nomads“-Portraits von schwarzen Obdachlosen wollen kein Scheitern einer bestimmten Minderheit beklagen, sondern sich schon aufgrund der Hipness in der Darstellung („Sir Leonards“ prächtige Gürtelschnalle, sein tief in die Stirn gezogener Schlapphut) vom Lifestyle der amerikanischen Mittelklasse unterscheiden. Das selbstbewußte Supermodel RuPaul im goldenen Fummel paßt dort ebenso hinein wie René Cox' Fotocollage als schwarzer Jesus am Kreuz oder Jeff Koons' Nike- Poster, das die Werbeklischees schwarzer Kultur übertreibt: Black Moses spielt Basketball. Und Identität existiert nur am Rande.

67 Arbeiten von 29 KünstlerInnen diverser Ethnien, darunter zum Teil raumfüllende Archive und Dokumentar-Installationen; ein begleitendes Filmprogramm aus 50 Jahren black cinema, für das alleine fünf Kuratoren zuständig waren: Kein Entwurf von (schwarzer) Männlichkeit sollte unsichtbar bleiben. Valery Smith hat Filme ausgewählt, die Identität im Verhältnis zur Arbeit definieren. So liest sie etwa Melvin van Peebles „New Jack City“ nicht als Drogen- Thriller, sondern als Versuch, den Einfluß einer entindustrialisierten Welt auf das Leben schwarzer Großstädter darzustellen.

Unter Aufwendung ähnlich umfassender Strukturalismen kann Hermann Gray einige Folgen der Bill-Cosby-Show neben Nachrichten-Clips über den Vergewaltigungsprozeß in Sachen Clarence Thomas und HipHop-Videos von Snoop Doggy Dogg zeigen: Negative und positive Images sollen ambivalent bleiben. Dabei wird gerade am Beispiel des Gangsta- Rappers Snoop Doggy Dogg klar, wie sich die Rede vom „invisible black man“ verändert hat. Der Dogg benutzt Unkenntlichkeit als Stilmittel. Selbst sein immergleicher, regungsloser Gesichtsausdruck ist eine Form der Tarnung, die nicht auf Unsichtbarkeit, sondern auf das Verschwinden abzielt. Abwesenheit als gefährlichste Waffe. Auch in den übermalten Zeitschriftenblättern von Adrian Piper ist die Bedrohung als undefinierbare Masse angelegt. Doch Piper hängt den Kontext höher – schon Anfang der siebziger Jahre hatte sie sich als Black Panther verkleidet und den Widerspruch zwischen Frauen- und Männerrollen bei der Suche nach schwarzer Identität auf den Kanon des politischen Kampfes übertragen: „I embody everything you most hate and fear“. Irgendwann löst sich alle Idiosynkrasie und Feinheit der Hinterfragung körperlicher Festschreibungen im akademischen Sound of Gender auf, auch eine Art Überdeterminiertheit.

Rassismus als Identitätsstifter

Daß die scheinbar willkürlichen Bilder von Freud und Leid der Black community jetzt einen soziologischen Assoziationsreigen bilden, bei dem privates Schicksal wie reale Geschichte daherkommen kann, sagt auch etwas über die Verschiebung von Wahrnehmungsebenen aus. Rassismus als Identitätsstifter und seine Folgen: Mit Rodney King als der modernen Figur des gedemütigten Schwarzen läßt sich zwar eine historisch evidente Verbindung zur Sklaverei herstellen, die heute noch konkret nachwirken mag. Nur waren die anschließenden Riots in L.A. gerade keine Aktion einer spezifischen Gruppe, sondern eine Mixtur aller möglichen ausgegrenzten Tribes, die plötzlich miteinander und aufeinander losgingen.

Die neuen Formen der Marginalisierung betreffen weder Rassen noch Klassen allein, sie greifen generell auf Kommunikation und soziale Beziehungen über. Mit wem man nicht sprechen kann, demgegenüber muß man schweigen. Die paradoxe Situation besteht darin, wie Elizabeth Alexander im Katalog schreibt, „race as complex fiction“ zu begreifen und sich doch der Realität ausgesetzt zu sehen. Auf diesem Feld arbeiten Tim Rollins und K.O.S., eine Gruppe von Jugendlichen aus der

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South Bronx. Sie nehmen Authentizität auseinander, indem sie individuelle Bekenntnisse in Text und Zeichen auflösen: Auf 21 aneinandergeklebte Seiten der Malcolm- X-Biografie haben sie die Buchstaben X und M als übergroßes Logo mit Isolierband geklebt – das inflationär gebrauchte Symbol verdeckt am Ende seinen Ursprung.

Die Einführung von Henry Louis Gates Jr. im Katalog dagegen beruht auf zwei nüchternen Feststellungen: Historisch geht der schwarze Befreiungskampf mit der Emanzipation der Frau einher, deren beider Allianz der weiße Mann der Mittelklasse fürchtet. „King Kong“ war ein früher Mythos, in dem dieses Verhältnis als sexuelle Perversion dämonisiert wurde. Das zweite Argument von Gates hängt an der simplen Statistik von Wirklichkeit: Während 2.280.000 schwarze Jugendliche im Gefängnis sitzen, haben nur 23.000 staatliche Förderung fürs College erhalten – das Verhältnis beträgt 99 zu 1. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Repräsentation kaum mit Kunst zu bewältigen, obwohl Gates gar nichts gegen Bilder hat. Er selbst sammelt „Sambo Art“, rassistische Darstellungen in der amerikanischen Alltagskultur, Nigger auf Zinnbechern und Ziertellern. Vor allem aber sieht Gates eine sich neu konsolidierende Vereinheitlichung schwarzer Identität, trotz der Vielfalt von „Black Male“. African-Americans sind wieder zum Medium geworden, zur Bühne, auf der eine neue Moral formuliert und für die Öffentlichkeit mit visuellen Reizen schmackhaft gemacht werden soll: „Im momentanen Umbruch ist es kein Zufall, daß sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und Mißhandlung, auch von Kindern, sowie hate speech ihren Höhepunkt in Gestalt schwarzer Protagonisten gefunden haben.“ Von O.J. Simpson bis Michael Jackson: Die political correctness kippt in ein nationalistisches Ritual der Ausgrenzung um.

Sonderlich weit hätte man gar nicht nach solchen Unwägbarkeiten suchen müssen. Denn die Ausstellung fußt auf einer Utopie, die nur für eine kurze Zeitspanne Kunst über Schwarze öffentlich macht: Kaum ein Dutzend der Exponate befindet sich in Museen, das meiste wurde aus Privatbesitz herbeigeliehen oder ist mit dem Vermerk „Collection of the Artists“ versehen. Auch nach „Black Male“ wird es in Zukunft bei der Situation bleiben, die Fred Wilson in der Installation „Guarded View“ abgebildet hat: Für Schwarze ist im Museum als Putzkraft, Wächter und Kartenabreißer Platz. Als Künstler und Modelle müssen sie draußen bleiben.

„Black Male“, bis 5. März 1995, Whitney Museum of American Art, New York.

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