: Gähnende Gäule, glühende Kohlen und Mammon auf Rädern Von Ralf Sotscheck
Letzten Montag ging es um die vergebliche Suche nach dem „Electric Brae“ – einer Stelle in Nordirland, an der Autos, Reisebusse und das Wasser im Fluß durch unsichtbare Kräfte den Hügel hinaufgezogen werden. Gerry von Bord Fáilte – der „Willkommensbehörde“, wie das Fremdenverkehrsamt auf irisch heißt – konnte den wundersamen Ort nicht finden. Die Pferderennbahn in Fairyhouse, wo eher weltliche Kräfte herrschen, fand er auf Anhieb.
Schon am Eingang trennte sich die Spreu vom Weizen: Die meisten der JournalistInnen, für die Bord Fáilte diese Busrundfahrt organisiert hatte, steuerten schnurstracks die Bar an, weil es dort nicht so kalt war und die Rennen auf Monitoren übertragen wurden. Die drei Pferdenarren in der Gruppe gingen dagegen zu einem Grasviereck hinter der Tribüne, wo sich die Tiere warmliefen. Daneben hatte man einen Drahtkorb mit glühenden Kohlen aufgestellt, um den sich die Wettfreunde scharten. Auf der anderen Seite parkte der Lieferwagen einer Bank, in dessen Seitenwand ein Geldautomat eingebaut war – Mammon auf Rädern für diejenigen, die Nachschub benötigten.
Ich verließ mich auf Michael vom Belfast Telegraph, weil er die Pferde mit Namen kannte. „Man kann beim Warmlaufen viel erkennen“, erklärte er. „Ein Pferd, das munter herumspringt, ist vermutlich scharf auf das Rennen, während ein Tier, das bloß müde herumstolpert, wohl auch auf der Rennbahn keine gute Figur machen wird.“ Ich hielt nach gähnenden Gäulen Ausschau, um sie in meinem Programmheft zu eliminieren. Für das dritte Hindernisrennen hatte Michael einen Tip: Son Of War, ein siebenjähriger Hengst mit einem winzigen Jockey im rosa Hemdchen – als Pferd hätte ich mir diese Geschmacklosigkeit verbeten.
Wer wetten will, muß versuchen, eine günstige Quote zu bekommen. Zwar gibt es auch einen staatlichen Totalisator mit festen Quoten, aber bei den Buchmachern ist es allemal interessanter. Etwa 50 von ihnen hatten ihre Stände vor der Tribüne mit den billigen Plätzen aufgebaut, während jenseits der Absperrung auf der Osttribüne die Gucci-Handtaschen und Armani-Anzüge vorherrschten. Die Buchmacher standen auf Schemeln neben einer schwarzen Tafel, auf der die Namen der Pferde und die Quoten verzeichnet waren. Je nach Lage der Wetten wurden die Quoten laufend geändert. Ich setzte fünf Pfund bei einem älteren Herrn, der nicht ganz so schlitzohrig aussah wie seine Kollegen.
Ich hatte Michael aus den Augen verloren und traf ihn erst zu Rennbeginn wieder. Der Verräter hatte in letzter Sekunde seine Meinung geändert und zwanzig Pfund auf Atone gesetzt, dessen Jockey ein dezentes Grün trug. Nach dem Startschuß verschwand die Meute im Gelände und war nur noch mit Feldstechern auszumachen, die echte Wettprofis freilich bei sich trugen. Als die Herde nach einer Ewigkeit in die Zielgerade einbog, lagen Son Of War und Atone Schulter an Schulter vorne. Zu Michaels Entsetzen stürzte Atone am letzten Hindernis und mußte an Ort und Stelle erschossen werden. Ich dagegen kassierte meinen Gewinn von umgerechnet fünfzig Mark. Der nächste Renntag in Fairyhouse ist am 2. Januar. Einen Tip habe ich auch schon.
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