: Deutschland, Deutschland unter anderem
Die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums europäisiert unser kleines Drama ■ Von Christian Semler
„Ausstellen kann man nur, was man hat“ – dieser an Sepp Herbergers Sentenzen gemahnende Leitsatz eines Nürnberger Museumsdirektors gilt auch für das Deutsche Historische Museum. In drei Flügeln des Zeughauses ist seit Freitag zu besichtigen, was Direktor Stölzl und seine Mitarbeiter in sieben Jahren Raritätenjagd an Land gezogen haben. „Authentische Realien“ mußten es schon sein, denn Stölzl sieht sein Projekt als „Fels altmodischer Betrachtung der Welt“. Also keine kunstvollen, nachgebauten Inszenierungen, keine „Ereignisräume“. Die 2.000 Meter Ausstellungsfläche können, so Stölzl, nur ein Substrat dessen präsentieren, was kurz nach der Jahrtausendwende auf 8.000 Metern Ausstellungsfläche zu sehen sein wird. Dieser auf Dauer berechneten Schau werden Wechselausstellungen gegenüberstehen, untergebracht in der dann umgebauten, hinter dem Zeughaus liegenden ehemaligen Infanteriekaserne. Mit dem Bonner „Haus der Geschichte“ existiert ein zähneknirschender Modus vivendi, bei Auktionen will man steuergeldverschlingendes Überbieten vermeiden. Das ganze Unternehmen versteht sich als work in progress, offen für historischen Erkenntniszugewinn. „Friß oder stirb“ gilt nicht.
Von den guten Absichten zu den Realien: Wer befürchtet hatte, im Zeughaus einen erneuten Anlauf zur historischen Identitätsbildung vorzufinden, eine Wiederholung jener Deutungen, nach denen die deutsche Geschichte, einer Art Entelechie folgend, der Nationalstaatsgründung zustrebte, konnte aufatmen. Aber vor lauter „Deutschland, Deutschland unter anderem“, vor lauter Europäisierung unseres kleinen Dramas ist jetzt das Spezifische des deutschen Entwicklungsweges verlorengegangen. Symptomatisch dafür die Darstellung des Mittelalters, die sich, kümmerlich genug, mit zwei Räumen begnügen mußte. Der Dualismus zwischen Universalmonarchie und Universalkirche, der Kampf der zentralen gegen die territorialen Gewalten, was eigentlich eine „freie Reichsstadt“, was Städtebünde wie die Hanse waren, wir können es aus den Exponaten nicht erschließen – es gibt sie nicht. Das ist kein „akademischer“ Einwand, denn in den sechs Jahrhunderten, von den Ottonen bis zu Kaiser Maximilian, finden sich Bausteine, die unser heutiges Staatsverständnis präformieren.
Deutsche Geschichte hat sich lange und überwiegend in den Territorialstaaten abgespielt. Das stellt die Museumsleute vor eine im Prinzip unlösbare Aufgabe, sowohl von der „Sache“ wie von den Möglichkeiten der Akquisition her. Denn es gibt im Gegensatz zum Radsport in Deutschlands Geschichte keine sich ablösenden Spitzenreiter, an die sich die Ausstellungsmacher hätten hängen können. Und außerdem – warum zum Teufel sollte das Kölner oder das Münchner Stadtmuseum die ungeliebten Berliner mit Glanzstücken beliefern? So hat man sich (die geringe Widerstandskraft nutzend?) mit einem schönen, ums 18. Jahrhundert zentrierten sächsischen Ausstellungsraum begnügt, um dann zum Aufstieg Preussens weiterzueilen. Die Reichsgeschichte der frühen Neuzeit ist mit einer sehr dichten, hervorragend ausgewählten Sammlung von Drucken, Gemälden und Autographen der Reformationszeit vertreten. Sicher ein Glanzpunkt der Ausstellung, wie auch die Dokumente des bis zur Nazi-Zeit katastrophalsten Einschnitts in der deutschen Geschichte, des Dreißigjährigen Krieges. Aber weder die Exponate noch die Begleittexte vermögen uns einen Anhaltspunkt zu geben, was dieses „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ dieses Gebilde, einem „Monstrum quasi simile“, wie der Jurist und Frühaufklärer Pufendorf schrieb, eigentlich gewesen ist. Den vielfältigen Bezügen zur europäischen Geschichte aber mangelt es vollständig an der östlichen Dimension. Zu Rußland: eine Militärkarte des ersten türkisch- russischen Krieges und ein Portrait Alexander I. Zu Polen: eine Erwähnung der Teilung und ein Portrait August II. Das war's – Geschichte aus der Sicht des Rheinbundes.
Stölzl und sein Spiritus rector Stürmer wollten Schleusen durch die Geschichte bauen. Sie orientierten sich primär an der politischen Ereignis-, dann an der Kulturgeschichte, zahlen allerdings dafür einen hohen Preis. Die auf lange Dauer wirksamen Daten der Sozialgeschichte bleiben unterbelichtet. Man spürt die – überflüssige – Angst vor dem Schematismus der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung. Man hat in einer Art Hauptachse des zweiten Flügels der Ausstellung von einem wunderbaren Verwandlungstisch der Röntgen-Werkstatt über Schwungräder und Loren bis zu einem frühen Automobil die Technikgeschichte des 19. Jahrhunderts nachgezeichnet. Also die Produktivkraftentwicklung. Die Produktionsverhältnisse hingegen erscheinen nur in ihrer kulturellen Dimension, als Fabrikanten- und Arbeitermilieu, beziehungsweise in ihrer politisch-theoretischen Zuspitzung, in Form einer beeindruckenden Sammlung von Erstdrucken der großen Sozialisten.
Bei der Präsentation des 19. Jahrhunderts bis hin zur Reichsgründung finden wir oft feinfühlige Konstellationen, die allerdings durch einige albern-präpotente Erklärungstexte beeinträchtigt werden. Dann aber wird's flach. Die Ausstellungsräume der Zeit nach 1918 wirken hastig bestückt, sind schlecht beleuchtet und münden schließlich in das Sammelsurium von Konsum-Ikonen und Wahlplakaten für die Zeit der „alten Bundesrepublik“, dem das „Haus der Geschichte“ in Bonn seinen Zulauf verdankt. Was zur DDR zu sehen ist – meistenteils umgedrehte Agitation. Auf erklärende Gegenüberstellungen, etwa der sozialdemokratischen und kommunistischen Lager in der Weimarer Republik oder zwischen DDR und BRD in der Epoche des Kalten Krieges, wurde verzichtet. Geradezu ärgernisserregend konzeptionslos bietet sich, trotz hervorragender Exponate, die Nazi- Zeit dar. Den Holocaust irgend vor Augen zu führen wurde gar nicht erst versucht. Es bleibt dem Museumsbesucher, den Weg zwischen dem Portrait Felix Mendelssohn- Bartholdys, eines emanzipierten und integrierten jüdischen Musikers, und Felix Nußbaums im Brüsseler Versteck gemalten Dreier-Portrait von 1944 nachzuvollziehen, um das Ausmaß der Katastrophe zu ermessen.
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