: Meine Deke hat gebrant
■ “Angst“: Eine Ausstellung mit Bildern von Kindern / Mehr Männer als Monster
Kinderängste gehen nicht mit der Mode. Den Eindruck bekommt, wer dieser Tage durchs Foyer der Angestelltenkammer schlendert und plötzlich vor den Alpträumen unserer Kinder steht. Über 50 Bilder sind da aufgehängt, ein Panoptikum der Nachtängste in sprühenden Farben. 100 Kinder in Vorschulen, Schulen und Freizeiteinrichtungen bis zur 7. Klasse haben sich an einem Projekt der Landesarbeitsgemeinschaft Kunst (LAK) beteiligt. Ihre „alltäglichen Ängste“ sollten sie bebildern. Seit Dienstag ist die Ausstellung (Leitung: Bernhard Dantony) in der Angestelltenkammer zu sehen.
Es sind keinesfalls die Brutalos aus der Glotze, die Kampfmaschinen aus dem Computer oder das Personal der Horrorfilme, die die kindlichen Alpträume bevölkern – es sind vielmehr altbekannte Schreckensbilder, mit deren Hilfe die Probleme und Sorgen der Kleinen zum Ausdruck kommen. „Meine Deke hat gebrant,“ liest man neben einer drastischen Darstellung. „Ich habe getreumt das ich infürt worde,“ erzählt ein Kind und hat einen Kerl mit langen Armen gemalt, der ein Kind wie eine Stoffpuppe davonträgt. Vulkanausbruch, Häuserbrand, beißende Schlangen, Gespenster, Haifische, Teufel, Räuber und Kinder, die im Wald verloren gehen – alles „klassische“ Motive. Und immer wieder Männer. Kahlköpfige Hausumschleicher, Schatten mit Messern, Köpfe mit Hüten.
Daß die Bilder die Ängste der Kinder darstellten, ist ein Irrtum, auf den Wulf Gagel hinweist. Der Bereichsleiter Mitte/Ost des Schulpsychologischen Dienstes hält jedes Bild für einen Bewältigungsversuch: „Angst macht hilflos, handlungsunfähig; solange ich male, handele ich.“ In seiner Beratungspraxis setzt er das Malen gern und oft ein. Es gehe darum, der diffusen kindlichen Angst die Möglichkeit zu geben, eine Gestalt zu finden, ein Symbol.
Ein prima Beispiel für eine weitgehend bewältigte Angst sei das Bild mit den beiden lachenden Gespenstern. Weiße Wesen auf blutrotem Grund – und in der Ecke links unten ist die Angst geparkt, in Gestalt eines dicken schwarzen Kreuzes. Die Angst verschwindet nicht, aber sie wird handhabbar. Zunächst hochgradig organisiert erscheinen die Ängste im Bild eines Kindes, das ausnahmsweise ein aktuelles Bild gewählt hat: Drogen. Von einem Kopf gehen drei „Denkblasen“ aus, eine hin zu einer Welt des Sportes, eine hin zu einer Welt der Überraschungen (als Symbol: verschnürte Pakete), eine hinein ins Junkie-Leben, d.h. Sterben. Eine Spritze, ein Kreuz, ein Toter (?) mit Ohren- und Nasenringen. Schaut man lange hin, scheint diese letzte Alternative doch noch recht virulent zu sein.
Als Wulf Gagel zum ersten Mal die Ausstellung sah, war er enttäuscht. „Die haben ja überhaupt keine Angst,“ hatte er festgestellt. Die Bilder erschienen ihm durchweg zu „rund“. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte er die versteckten Hinweise. Allerdings ist ihm aus seiner Praxis bekannt, daß das Ergebnis viel weniger spannend (und aussagekräftig) ist als der Prozeß des Malens, der Prozeß einer Bewältigung.
Doch womöglich spielt noch ein anderes Phänomen eine Rolle. Gagel hat in seiner Praxis eine überraschende Feststellung gemacht: Die Bremer GrundschülerInnen erscheinen ihm auffallend angstfreier als noch vor ein paar Jahren. Er registriert immer „weniger Angstmeldungen“. Der sorgsamere Umgang mit Noten und Zeugnissen scheint Wirkung zu zeigen. Davon kündet auch der freiere Umgang mit der Orthographie. Welcher Lehrer hätte vor zwanzig Jahren Kinderbilder für eine Ausstellung freigegeben, die so beschriftet sind: „Ich habe Anngst vom Krankwerden und Ich habe angst vor der Er Pressung und ich habe Angst vor dem ein Schlafen.“ Burkhard Straßmann
Die Ausstellung „Angst“ läuft noch bis zum 20. Januar in der Angestelltenkammer, Bürgerstr.1. Geeignet auch für Schulklassen. Am Freitag im Beiprogramm: „Darstellung und Überwindung von Angst in der Kinder- und Jugendliteratur“ (ab 9 Uhr). Am Mittwoch, 18.1., 19 Uhr: „Der alltägliche Horror“, Diskussion mit dem Kinderschutzzentrum, Schattenriß und Gesundheitstreffpunkt West.
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