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■ Zum Streit um die Vergangenheitsbewältigung in der PDSDie Stalinismusfalle

Die Bonner Parteizentralen würden die PDS-Konkurrenz lieber von Sahra Wagenknecht, der „Lady mit den kalten Augen“, repräsentiert sehen denn von dem Tandem Bisky/Gysi – keine Frage! Die beiden letztgenannten produzieren eine Mixtur von Entertainment und Biedersinn, an der bislang noch jeder Versuch, den alten Ängsten vor den Roten neues Leben einzuhauchen, zuschanden wurde. Haben nun die „etablierten“ Parteien, um diesem mißlichen Zustand abzuhelfen, eine Methode ersonnen, mittels derer die PDS gezwungen werden soll, ihr wahres, ihr häßliches Gesicht zu zeigen? Und besteht diese Methode im Kern darin, den demokratischen Sozialisten, statt artig mit ihnen über Steuer- und Strukturpolitik zu diskutieren, „Vergangenheitsbewältigung“ aufzudrücken? Zumindest Michael Schumann, Vorstandsmitglied der PDS, sieht seine Partei als potentielles Opfer einer „Radikalisierungsstrategie“. Die PDS soll von den bürgerlichen Parteien und den Medien in eine selbstzerstörerische ideologische Kontroverse über den SED-Komplex verwickelt werden. Gelänge dieser Anschlag, die Partei verlöre alle Attraktivität und büßte ihre Politikfähigkeit ein. Schumann resümiert: Beschäftigung mit der Geschichte, ja, aber alles zu seiner Zeit und an seinem Ort.

Was Schumann in der jüngsten Nummer des PDS-Bulletins disput unternimmt, ist eine Fortsetzung bewährter SED-Exerzitien: Innere Widersprüche werden in solche zwischen uns und dem Feind umgedeutet. Schließlich hat die SED/ PDS auf ihrem Parteitag im Dezember 1990 das bürokratisch-zentralistische Herrschafts- und Vergesellschaftungssystem in der DDR verurteilt und sich nicht gescheut, es bei seinem Namen zu nennen: Stalinismus. Das ist doch, bitte sehr, die Beschlußlage, und wer dagegen löckt, steht im Verdacht der Außensteuerung. Das Problem mit dieser Beweisführung ist nur, daß sie auf Sand gebaut ist.

Als Gysi, Bisky und die Seinen 1990 den Stalinismus in den Farben der DDR anprangerten, gingen sie einerseits zu weit, andererseits nicht weit genug. Zu weit, weil selbst die zur kritischen Überprüfung ihrer Lebenspraxis bereiten Aktivisten der SED sich in einem Begriff nicht wiedererkannten, mit dem sie, wenn überhaupt etwas, dann den sowjetischen Staatsterrorismus der 30er und 40er Jahre assoziierten. Für sie war „Stalinismus“ ein Kampfbegriff der Rechten bzw. der antikommunistischen Linken. Nicht weit genug, denn die Rede vom Stalinismus lädt förmlich dazu ein, die „stalinisierten“ Herrschaftssysteme nur als Abirrung von einem richtigen Beginn (der Oktoberrevolution) und als Deformation einer an sich richtigen Theorie/Praxis (des unverfälschten Leninismus) zu verstehen. Im Dezember 1990 nahmen die SED-Aktivisten die Einschätzung ihrer Partei als „stalinistisch“ nur deswegen hin, weil ihnen mit der alten Führungsgruppe ein stalinistischer „Kern“ angeboten wurde. Dieses Geschwür herauszuschneiden und sich ideologisch zu transformieren, hieß für sie, ab jetzt demokratischer Sozialist zu sein. Keineswegs handelte es sich bei dieser „Rettung“ um eine ausgefeilte Strategie. Was sich Gysi und seine Leute 1989/90 mit dem „Stalinismus-Komplex“ einbrockten, hängt vielmehr unmittelbar mit dem Schicksal reformerischer Strömungen in der SED zusammen.

Das beste, was man über diese Strömungen in der DDR der 80er Jahre sagen kann, ist, daß sie nicht existierten. Realistische Analysen „zur Lage“ wurden nur beim MfS erstellt und verstaubten in den Ablagen Honeckers. Von der westdeutschen Sozialdemokratie als Reformer stilisierte SED-Professoren wie Uwe-Jens Heuer jagten dem Hirngespinst der „entwickelten sozialistischen Produktionsweise“ in der DDR nach. Auf diesem eingebildeten Fundament errichteten sie ihre Verrechtlichungs-Strategien. Reaktionen auf die realsozialistische Systemkrise in Polen 1980/81: null. Noch in dem Ende der 80er Jahre erschienenen Werk Heuers „Marxismus und Demokratie“ findet sich auch nicht der Ansatz einer politischen Krisentheorie. Bis zum Zusammenbruch des Realsozialismus verneinten vorgeblich kritische Juristen wie Klenner die unmittelbare Geltung von Grundrechten in der DDR usw. usf. Anders als in Polen und Ungarn sammelte sich keinerlei „kritische Masse“ aus Intellektuellen und Politikern, die sich noch unterm Ancien régime als Parteifraktion konstituierte, Machtpositionen besetzte, Reformstrategien erarbeitete und sich schließlich mit der demokratischen Opposition am „Runden Tisch“ zusammenfand, um den Realsozialismus zu beerdigen.

Es ist nicht allzu schwierig, den Schlüssel für die Erklärung dieses großen Ausbleibens zu finden. Er liegt in der Existenz der Bundesrepublik, der Sogwirkung, die jahrzehntelang von ihr ausging, und den psychologischen Mechanismen der Abgrenzung, denen sich noch die klügsten SED-Intellektuellen unterwarfen. Weil das so war, konnten die Macher, die Winter 89/90 die alte Führung entmachteten, niemals den einzig möglichen Ausweg aus der Misere beschreiten: die Auflösung und Neugründung der Partei, verbunden mit der individuellen Neuaufnahme von Mitgliedern. Denn diese „ungarische“ Lösung hätte den Aktivisten das Hauptinstrument ihrer Selbstbehauptung aus den Händen geschlagen. Michael Schumanns These, die PDS sei faktisch eine Neugründung auf antistalinistischer Grundlage, ist deshalb nichts als Ideologie. Es war ein Seiltanz über sicherem Netz.

In den fünf Jahren seit der Euphorie des Winter 89/90 hat sich der Stalinismus-Komplex auf sinistre Weise mit der Frage nach der Lebensidentität der ehemaligen DDR-Bürger verschwistert. Indem die PDS sich für das „Recht auf die eigene Biographie“ stark macht, kämpft sie nicht nur gegen westliche Anmaßung. Sie entlastet gleichzeitig ehemalige Aktivisten wie Mitläufer von der peinvollen Pflicht, ihre Biographie in Frage zu stellen. Einer antistalinistischen Position wird damit das selbstkritische Fundament entzogen.

Die Führung der PDS ist jetzt mit einer schwierigen, doppelten Aufgabe konfrontiert. Sie muß einerseits am Bild einer modernen, verantwortungsbereiten Partei stricken, die im parlamentarischen Spektrum den freigewordenen Platz auf der Linken einnimmt. Andererseits muß sie der Gemütslage derjenigen ihrer Mitglieder Rechnung tragen, die aus ihrem Selbstverständnis als Erniedrigte und Beleidigte heraus mehr und mehr zur Verteidigung einer nicht nur individuellen, sondern kollektiven „DDR-Identität“ neigen, mithin zur Verteidigung eines Systems, das vor fünf Jahren der PDS noch als stalinistisch galt. Kein Wunder, daß die klassischen Zentristen der Sozialdemokratie bei der PDS neuerdings so hohes Ansehen genießen. Christian Semler

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