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■ NormalzeitKinder, Ku'damm, Kirche

Das sind die drei berühmten „Ks“ der Berlinerin. Wobei mit „Kirche“ natürlich die Gedächtniskirche gemeint ist. Die ehemalige ÖTV-Vorsitzende Wulf- Mathies, die übrigens auch eine gute „Berlinerin“ abgeben würde, sagte neulich: „Spätestens seit Ulrich Becks Buch wissen wir, daß wir in einer Risikogesellschaft leben.“

An diesem Gedanken stimmt gar nichts: Erst seit der Trendsoziologe Beck von Risikogesellschaft faselt, ist das Wort gebongt. Dabei leben wir eher in einer Risikovermeidungs-, gar Risikopräventionsgesellschaft. Aber so wie die Politik nur noch „Signale“ setzen will und kann, versucht die Soziologie, sich mit neuen Begriffen in die Medien zu bringen. Frau Wulf-Mathies ist längst mit im Spiel und erklärt den Münchner Spiegel-Analysten Beck flugs zur Eule der Minerva.

„Ereignisgesellschaft“, noch so ein Wort: Wenn Tausende im Öffentlichen Dienst „freigesetzt“ werden, ist das kein Arbeitnehmer-Risiko, sondern ein Top- Ereignis. Ebenso ist es mit Kinderkriegen, Ku'dammbummel und Kirchenbesuch: Ereignis- Shopping nennt man so etwas.

Jürgen Schmolcke, ein Anarchofreund aus Bremen, dem jetzt die „Rathenower Behälter-Bau GmbHs“ gehören, bietet demnächst, vor allem auf dem amerikanischen Markt, „Container- Brauereien“ an: passend zu jeder Kneipengröße und statt eines Braumeisters mit einem Computerprogramm für zwanzig Biersorten ausgerüstet. „Das Ereignis-Selling ist in Amerika viel weiter verbreitet als bei uns“, meint er. Ähnlich steht es mit dem „Erlebnis-Urlaub“.

Anscheinend wollen die Menschen nicht mehr länger einfach nur auf der Couch liegen und sich durch die TV-Programme fressen. „Machen Sie erotische Kontakte – sofort!“ heißt es ein ums andere Mal in den Werbeblöcken. Und dazu werden einem sechs riesige Titten quasi entgegengepreßt. Ich schrecke jedesmal hoch und weiß gar nicht, was ich nun tun soll.

In einer Mega-Mall in Manila wollte man uns neulich unbedingt in eine „Ereignis-Gastronomie“- Kette namens „Friday's“ zerren. So ein Ding gibt es auch in Berlin, im „Palast-Hotel“. Um die Ecke, neben dem „Gastmahl des Nordsee-Meeres“, ist noch so ein Erlebnis-Kettending namens „Zungenkuß“. Eigentlich geht es nur darum, daß die Bediensteten sich dort noch mehr um den Gast bemühen und sich dabei zum Arsch machen müssen.

Das ist überall die Tendenz: In den Radiosendern müssen die Moderatoren alle paar Minuten sagen, wie toll sie sind und erst recht ihr Ödeldödel-Sender, die Reiseleiter dürfen nicht mehr deutscher Unteroffizier spielen, sondern müssen Frohsinns-Animateure imitieren, sogar die blöden Bundesbahn-Kontrolleure machen jetzt einen auf aufgekratzten „Zugbegleiter“.

An die „Dienstleistungsgesellschaft“ anpassen, nennt man das. Demnächst müssen selbst die Stadtreiniger beim Leeren der Getrennt-Müll-Container singen und steppen. Dann ist es höchste Zeit, daß Heiner Müller ein neues sozialistisches Loblied auf die mürrischen und unfreundlichen Bedienungen singt. Bis dahin aber gilt noch das Echte und Wahre: ein gutes Betriebsklima. Und das erreicht man am besten durch ganz niedrige Löhne, weil dann jeder bei der kleinsten Gelegenheit aufzumucken wagt bzw. sofort mit Kündigung droht.

Das beste Beispiel dafür ist die taz bzw. ihr Betriebsklima. Man vergleiche es nur mal mit dem der Wochenpost, wo die Leute sich für prima Tariflöhne demütigen und demütigen lassen. Wobei man bei der taz witzigerweise der Meinung ist, daß die „Stimmung“ seit der letzten Nichterhöhung der Gehälter „noch mieser“ geworden ist. Das mag für sich genommen stimmen, aber sie ist immer noch tausendmal besser als in allen anderen städtischen Medienanstalten, in denen sie sich ebenfalls ständig verschlechtert – mit jeder Aufforderung an die „Volksdienstleister“, wie Mao Tse-tung sie nannte, noch „spritziger“ (Prinz) und noch „witziger“ (SFB) zu arbeiten. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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