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Good bye Oktoberklub

Kein Sprungbrett mehr für Karrieristen: Anstatt zum 25. Mal stattzufinden, wird sich das „Festival des Politischen Liedes“ wegen Geldmangels vielleicht bald endgültig verabschieden  ■ Von Thomas Winkler

Als das Politbüro der SED im November 1967 tagte, beschloß es, die unheilige Beatmusik, die imperialistischerweise aus dem Westen herüberdrang, in den Griff zu bekommen. Der Oktoberklub wurde auserkoren, die Mitte der Sechziger in der DDR entstandene, sogenannte Singebewegung zu kanalisieren. 1970 initiierten die klampfenden FDJ-Mitglieder ein Festival, und luden sich dazu „internationale Gäste“ ein, wie es immer so schön hieß. Das Festival das Politischen Liedes war geboren und wuchs und wuchs. „Lenin lebt in unseren Liedern“ übertitelte die Junge Welt im Februar 1972 einen Bericht zum in der Hauptstadt der DDR stattfindenen 3. Festival des Politischen Liedes. Aber ganz so einfach lagen die Dinge schon damals nicht, auch wenn der Oktoberklub bald schon vom kritischen Podium innerhalb der SED zum Sprungbrett für Karrieristen im DDR-Kulturbetrieb mutierte.

Die Junge Welt, das Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend, lieferte all die Jahre die ideologische Begleitung und Untermauerung des Festivals, empfing die Gäste schon am Flugplatz, um sie zum Stand des Klassenkampfs in ihren Heimatländern zu befragen, und registrierte akribisch die zahlenmäßige Begeisterung: 1972 lockten 40 Veranstaltungen mit Musikanten aus 23 Ländern 25.000 Menschen. Ein gutes Jahr vor dem Mauerfall zählte die JW 27 Länder, die den Internationalismus der DDR bezeugten, und 66.000 Menschen, die mit ihrem Erscheinen auch der DDR zum 40. Geburtstag gratulierten.

Die Wirklichkeit sah anders aus: Zwar glänzte der Oktoberklub immer noch mit selbstkomponierten und neuinterpretierten Liedern zu Klassenkampf und Aufbau des Sozialismus, aber der überwiegende Teil des Publikums nutzte die Möglichkeit, um wenigstens einmal Michelle Shocked, Angelo Branduardi oder Billy Bragg zu sehen. Es war nahezu unmöglich, an Karten zu kommen, illegale Mitschnitte der Konzerte wurden hoch gehandelt und viele reihten sich in die 300 ehrenamtlichen Helfer ein, nur um dadurch an ein Festivalticket zu kommen.

Sicher diente das Festival der SED dazu, sich im Ausland ein besseres Image zu verschaffen; wollte die Staatsführung, daß Al Jarreau und die anderen nach Hause fuhren, um dort von dem freundlichen Empfang, dem besseren Deutschland und dem fröhlichen Sozialismus zu erzählen. Andererseits war es während des alljährlichen Festivals im Februar aber auch tatsächlich so, funktionierten die großen Ansprüche der kleinen DDR plötzlich: Die Betriebe stellten die freiwilligen Helfer frei, Linke aller Länder trafen sich, es wurde getrunken, diskutiert und vor allem viel getanzt. Die DDR gab sich weltoffen, und in diesen neun Tagen war sie es auch. Ein bißchen zumindest.

Trotz aller politischen Umwälzungen starb das Festival nach 1990 nicht sofort. Die FDJ war zwar kein Thema mehr, aber viele der Helfer wollten ihr Festival weiterführen und organisierten sich in einem „Förderverein für ein progressives Kulturfestival“, der anfangs stolze 400 Mitglieder zählte. Man beschloß eine Namensänderung in „ZwischenWelt-Festival“, weil das Festival nun „vermitteln sollte zwischen der alten DDR- Welt und der neuen Westwelt, zwischen Alt und Jung, zwischen Aus- und Inländern“, formuliert Klaus- Peter Renneberg vom aktuellen Vorstand des Vereins die Ziele. „Aber wir wollten uns auch diesen Treffpunkt, diese Kommunikationsebene erhalten“, und 1994 kehrte auch der Originalname zumindest als Untertitel zurück.

Doch von Anfang an hatte das gewandelte Festival zu kämpfen: An die Zuschauerzahlen der Vergangenheit war aus offensichtlichen Gründen nicht mehr zu denken, sie pendelten sich so um die 10.000 ein. „ZwischenWelt“ belegte nur noch drei Tage im Veranstaltungskalender, die West-Stars konnten nun ganz legal die DDR betouren und die Musiker aus den ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten kamen zwar noch, aber waren nun nicht gerade die Zugpferde. Vom Geld ganz zu schweigen: War das Festival früher durch die FDJ finanziell überaus gut bestückt gewesen, schlug man sich nun mit Anschubfinanzierungen des Berliner Kultursenats, ABM- Stellen und ein wenig Geld von hier und dort durch.

Trotzdem leistete sich das Festival eine aus der Vergangenheit übernommene Gigantomanie, anstatt sich auf die im Vergleich zu früher minimalen Zuschauerzahlen einzustellen. Und außerdem hatte der Verein, so erzählt Vorständler Sebastian Schulze-Wittmann, Anpassungsschwierigkeiten im Kapitalismus: „Von früher war man es gewohnt, daß der Zentralrat einen großen Topf zur Verfügung gestellt hat, aus dem alles bezahlt wurde. Daß heutzutage auch wieder was reinkommen soll, das waren die Leute nicht gewohnt. Da haben sich Unsummen auch an privaten Schulden angesammelt.“ Ein anderes Problem wurde das künstlerische Konzept: Weil endlich Bettina Wegener, Stephan Krawczyk und andere ehemals verfemte Liedermacher spielen konnten, vergaß man, eine modernere Konzeption für das Festival zu erarbeiten. Alte Dauergäste wie Billy Bragg wurden wenn, dann zu spät angesprochen und mögliche neue, die ins politische Konzept des Festivals gepaßt hätten, nicht gesucht. So waren meist die eigentlichen Rahmenveranstaltungen von ZwischenWelt wie die „Kinderkirmes“ am erfolgreichsten und das Konzept ingesamt „zu beliebig“, wie Schulze-Wittmann einräumt.

Im vergangenen Jahr wuchs dem inzwischen auf ein Zehntel seiner ursprünglichen Mitgliederzahl geschrumpften Verein dann endgültig der Schuldenberg über den Kopf: Vom Festival 1993 waren 15.000 Mark Verbindlichkeiten geblieben und 1994 waren die ABM-Stellen ausgelaufen und so gut wie keine öffentlichen Gelder mehr aufzutreiben. Zudem unterlief bei der hektischen Organisation ein folgenschwerer Fehler. Die vollmundig angekündigten Gipsy Kings, angeheuert für eines der Großkonzerte, um den Rest des Festivals mitzufinanzieren, entpuppten sich als Chicos Gipsys, ein Ableger der originalen Flamenco-Popgruppe. Nicht nur wegen der rechtlichen Schwierigkeiten wurde das Großkonzert ein finanzielles Desaster und bis jetzt sind die Schulden auf „eine höhere fünfstellige Summe“ angewachsen. Zum Teil aus eigener Schuld: Glaubt man dem Kultursenat, wurde der Antrag für eine neuerliche Anschubfinanzierung 1994, der gute Chancen auf Bewilligung gehabt hätte, vom Förderverein erst gar nicht eingereicht. Die angestrebte institutionelle Förderung aber wurde abgelehnt.

So ist nicht klar, ob es 26 Jahre nach dem ersten Festival ein jubilierendes 25. geben wird (1973 fiel das Festival wegen der in Ost-Berlin stattfindenden „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ aus). Vieles hängt von Verhandlungen mit Gläubigern ab. Trotz allem ist der geschrumpfte Verein wild entschlossen, die Tradition weiterzuführen: „Ein nächstes Festival soll auf jeden Fall stattfinden, ob nun dieses oder nächstes Jahr. Wenn, dann aber auf alle Fälle kleiner.“ Ein Vorhaben, mit dem sich auch Barbara Esser, Referatsleiterin im Kultursenat, anfreunden wird können, denn „ich bedauere es jedes Mal, wenn eine Veranstaltung nicht mehr stattfinden kann. Insbesondere eine, die eine so lange Tradition hat und auch immer ihr Publikum fand“.

(Ex-)Mitarbeiter und Sympathisanten des POL-Festivals treffen sich am 11.2. um 22 Uhr in der Talentebude, Kremmener/Wolliner Str., Berlin. Infos: 030-421 64 59

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