: Auf Feldzug im Reservat
■ Alfred Hrdlicka redete in Dresdens Semperoper über „deutsche Sachen“
Der Bildhauer sitzt auf einem Biedermeierstuhl. Auf dem Tisch eine Flasche Mineralwasser, ein Glas. Die Dresdner Semperoper ist vollbesetzt bis in den vierten Rang. „Ich glaube nicht“, meint im Parkett ein Münchener, „daß der Hrdlicka bei uns die Kammerspiele füllen könnte. Und die sind viel kleiner.“ Alfred Hrdlicka gießt sich das Glas voll, verspricht seinen ZuhörerInnen, nicht allzu arg in Dialekt zu verfallen und kündigt warnend an, er werde seine Rede frei laufen lassen, ein Gedanke folge dem anderen. Mal sehen, wo es uns hinredet.
Ersten Beifall erntet der Redner, als er der Wortblase „ehemalige DDR“ eins draufgibt. Es gebe sogar Leute, die sagen, sie seien in der „ehemaligen DDR“ geboren. Alfred Hrdlicka erinnert sich daran, wie er die DDR kennenlernte, an seine erste Ausstellung im Dresdner Kupferstichkabinett, wo er 1978 den Zyklus zum 20. Juli zeigte. Das „Seltsame“ an dieser Ausstellung: Es gab eine Zensur, wonach kein Hitler-Bild an der Wand hängen durfte. „So daß das Attentat auf Hitler eigentlich ohne Hitler stattgefunden hat.“
„Zur Sache: Deutschland“ heißt die vom Dresdner Staatsschauspiel und der Bertelsmann Buch AG veranstaltete Vortragsreihe. Christa Wolf, Genscher und andere sind schon aufgetreten, Kurt Biedenkopf und Walter Jens folgen. Hrdlicka kommt, wie immer, provokant zur Sache. „Mit Vergnügen“ lese er, „daß man überlegt, was mit einem großen Wandbild des Herrn Sitte werden soll – und es soll sogar die CDU dafür sein, daß es bleibt.“ Der Kalte Krieg habe ja auch in der Kunst stattgefunden, und es sei „Unfug“, den nun vom Tisch zu wischen und zu meinen, diese Werke müßte man eigentlich in lokalen Museen verstecken.
Die Konfrontation solle „in den Museen stattfinden“ – oder auf der Straße: Max Bills „Marmorknödel“ vor der Deutschen Bank und das demontierte Dresdner Lenin- Monument gegeneinander auszutauschen, das wäre ganz nach Hrdlickas Sinn für „eine künstlerische Sensation“. Den Knödel vor den Dresdner Hauptbahnhof, Lenin vor die Deutsche Bank, „es wäre eine Chance gewesen, daß einmal ein wirklicher Austausch stattfindet. Daß die so verpönte DDR-Kultur den Westen bißchen überflutet und zum Nachdenken bringt, und die können mit ihren zwar hochinterpretierten, aber visuell stinklangweiligen Produkten hier anrücken.“
Hrdlicka spricht über seine „Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte“. Er spricht nicht über seine Auseinandersetzung mit Wolf Biermann, dem er die „Nürnberger Rassengesetze an den Hals“ gewünscht hatte. Erst nach dem Auftritt, gegenüber Journalisten, bestätigt er: „Dazu stehe ich noch heute.“ Zuerst habe Biermann die beiden Juden Stefan Heym und Gregor Gysi „mit antisemitischen Äußerungen“ beschimpft, da sei es „ganz legitim“, mit „drastischen Worten“ gegenzuhalten.
Seine Rede in der Semperoper verweilt dagegen bei einem Bild, das er bereits 1975 in der Nationalgalerie Berlin ausgestellt hat: „Metamorphose der Endlösung“. Damit habe er vorausgemalt, was man heute die „Auschwitz-Lüge“ nenne: „Ein Bild, wie wir es allmählich wieder zurückgewinnen wollen, indem wir uns überlegen: Ja, war das wirklich alles so, war das nicht auch ein Feldzug gegen – ich bin so aufgewachsen, ich darf diese Worte gebrauchen – den slawischen Untermenschen oder den jüdisch-bolschewistischen Herrenmenschen in der Sowjetunion?“ Wer ist „wir“? Hrdlicka sagt es nicht, er redet ja „frei“.
Mit diesem Bild habe der Österreicher die „eigene, siebenjährige großdeutsche Geschichte“ aufarbeiten und zur Diskussion stellen wollen, gegen die befürchtete Tendenz, Geschichte „romantisierend“ umzuschreiben wie den „Holocaust an den Indianern“. Fünfzig Jahre nach dem Holocaust an den Juden wurde ein Mann, der Jude ist, vom deutschen Volk direkt in den Bundestag gewählt und hat dort den Altersvorsitz übernommen. „Was hat man gemacht? Man hat begonnen, ihn zu desavouieren und versucht, sich über ihn zu mokieren.“ Darin erkennt Hrdlicka das Verhängnis deutschen Geschichtsverständnisses und ein, wiederum drastisches, Bild: Er habe den Eindruck, daß für die „eingeborenen“ DDR-Bürger ein „Reservat“ geschaffen wurde. „Wenn in einem solchen Reservat gewählt wird, war es eigentlich keine richtige Wahl.“
Fünfundzwanzig Minuten reden über Deutschland – die HörerInnen danken es mit freundlichem Applaus. „So gehen die Reden durch die Zeit“, hatte der Bildhauer Werner Stötzer schon bei der Begrüßung gesagt. Detlef Krell
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