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■ Ein Volk, ein Reich, ein LexikonRevisionistischer Sagenschatz

Das Buch trägt die ISBN-Nummer 3-87847-142-4, ist von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften bislang nicht indiziert worden und erschien kürzlich in zweiter Auflage. „Überarbeitet“! Und zwar „in Verbindung mit zahlreichen Gelehrten des In- und Auslandes“. Es nennt sich „Volkslexikon des Dritten Reichs“. Geworben wird für das 950-Seiten-Machwerk aus dem Tübinger Grabert-Verlag nicht nur in rechtsradikalen Kampforganen, sondern auch im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel.

Es ist eine Art Volksempfänger zum Blättern vom Stichwort „A1“ für „die erste Fernrakete“ bis „Zwölfender“, der „scherzhaften“ Bezeichnung des „deutschen Landsers“ für Soldaten, die sich zwölf Jahre verpflichtet hatten. Wie das Volk inzwischen weiß, mußten die meisten „Zwölfender“ allerdings schon nach sechs Jahren kapitulieren.

Eine wahre Schmach, folgt man diesem revisionistischen Sagenschatz. Haben doch die Russen nur deshalb erfolgreich „durchhalten“ können, weil sie im Juli 1941 „2,5 Millionen Armeestiefel aus britischen Beständen“ und ab 1. Oktober 1941 „11 Millionen Armeestiefel“ aus den USA erhielten. Und auch für die aktuelle Debatte liefert das Lexikon Facts für Volksgenossen: In Dresden, so die „Gelehrten“, seien „zwischen 150.000 und 250.000 Menschen“ umgekommen. Die Bombennacht sei als „eines der größten ungesühnten Kriegsverbrechen in die Annalen der Geschichte eingegangen“. Tatsächlich starben bei dem Bombenangriff auf die sächsische Metropole 35.000 Menschen.

Wie perfide und skandalös das „Volkslexikon“ mit Opferzahlen operiert, zeigen die 27 Zeilen zum Stichwort Auschwitz. Dort wird eine angebliche „Totenliste des Roten Kreuzes“ zitiert, „die rund 86.000 Personen aufweist, wobei aber nicht alle Toten jüdischer Herkunft waren. 74.000 der Opfer waren Häftlinge. 12.000 gehörten dem Bewachungspersonal an. Daraufhin wurden die dortigen Inschriften mit 4 Millionen Opfern entfernt.“ Unter dem Stichwort „Judenvernichtung“ wird der Gasmord geleugnet, indem er schlicht nicht vorkommt: Als „beweisbare Tatsache“ wird in zwei Zeilen erwähnt, daß es „Erschießungen“ in Konzentrationslagern gegeben habe.

Diese Art von demagogischer Zusammenfassung zeichnet das gesamte Lexikon aus. So findet sich unter dem Kapitel „Einsatzgruppe“ kein einziges Wort über deren Hauptaufgabe, die massenhafte Erschießung von Juden und „Partisanen“. Und unter dem Stichwort „Eichmann, Adolf“ erfahren wir in drei Zeilen, daß er „die Umsiedlungsaktionen aus Polen und ab 1941 aus allen bsetzten Ostgebieten leitete“. In zehn Zeilen hingegen wird der israelische Geheimdienst Mossad gegeißelt, der Eichmann „in einer kriminellen Aktion, ohne argentinische Dienststellen um Erlaubnis zu fragen, nach Israel verschleppte“.

Die wahren Helden, auch das zieht sich durch das ganze Lexikon, sind Waffen-SSler mit ihrem hohen „Blutzoll“. Liebevoll werden seitenweise alle ihre Abzeichen und Uniformen abgebildet. Schließlich war es die Waffen-SS, die Warschau nach dem Aufstand „freikämpfte“.

Das ist sie, die „Geschichte aus erster Hand“, wie der Verlag wirbt, „für eine Generation, die diese Zeit nicht miterlebte“. Und damit diese Generation auch wirklich weiß, wer am Krieg schuld ist, wurde „zur weiteren Anregung“ eine „ausführliche Bibliographie“ erstellt. Deren Systematik ist lupenreine Nazipropaganda: Die Vergangenheitsbewältigung läuft unter der Überschrift „Judenfrage/ Kriegsschuldfrage“. Anita Kugler/Hans-H. Kotte

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