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Zwischen den RillenAltötting ist überall

■ In der Schmuckschatulle: „Perlen deutschsprachiger Popmusik“

Heißes Eisen, spitze Finger: Wer heute eine CD mit „Perlen deutschsprachiger Popmusik“ herausgibt, muß offenbar erst einmal drei Kreuze schlagen und coram publico beteuern, „nicht aus dem Nationalismusdreck“ zu sein, „wo gefordert wird, das deutsche Mädel müßte auch deutsch singen“, um sich anschließend mit dem selbst leicht schimmligen Bonmot „schimmlige Betroffenheit“ vom sozialdemokratischen Befindlichkeitssong zu distanzieren; dann wieder will aber auch dem Verdacht entgegengewirkt sein, hier mache sich einer für altlinkes „kritisches Liedgut“ im Sinne von Busch und Biermann stark. Das alles lustigerweise, um den Nachweis einer neuen deutschen Selbstverständlichkeit, sozusagen Lockerheit im Umgang mit Ton und Text zu führen – negativer Gottesbeweis, Überzeugungsarbeit durch Totalverkrampfung.

Daß die Lieder sich vor so viel Geleit durch den Schriftstellerherausgeber Franz Dobler überhaupt noch an die Öffentlichkeit getraut haben, hat viel damit zu tun, daß sie zum Zeitpunkt ihres Entstehens noch nichts von ihrem Glück wußten. Nur sechs der 25 von Dobler ausgewählten Songs sind Erstveröffentlichungen, der Rest öffnet allenfalls Leuten die Ohren, die in den letzten Jahren nur Grönemeyer, Westernhagen oder Tote Hosen gehört haben. Die guten alten Element Of Crime sind mit einem ihrer postbrechtischen, tomwaitsigen Großstadtchansons dabei. Tom Liwa und seine Flowerpornoes vertreten das bessere Ruhrgebiet, und F.S.K. aus München liefern mit „Diesel Oktoberfest“ ein weiteres Beispiel für ihre durch Auslandserfahrungen und transatlantische Projektionen gebrochene Aneignung heimischer Folklore.

Die paar Stücke, die erkennbar gegen oder für etwas auftreten, sprechen glücklicherweise ihre eigene Prosa: Die Sterne aus Hamburg etwa arbeiten an der Rückgewinnung einer Wachmachsprache, die sich trotzdem mit Bass und Break immer wieder funky selbst ins Wort fällt („Es möchte echt sein“), und die Berliner Lassie Singers dekonstruieren einen Einstürzende-Neubauten-Song („Ich bin das letzte Biest am Himmel“)mit den Mitteln der Hillbillygitarre und der gewieften Mädchenstimme – vom Berliner Schrott-Expressionismus der achtziger Jahre zur alltagsrealistischen Berliner Sezession.

Die freiere Wahl beweist der Bayer Dobler da, wo er sich loseist vom selbst auferlegten Zwang, Anchorman des besseren Deutschpop zu sein und einfach nur durch Vorliebe abbildet, was sich ohnehin nicht auf den Begriff bringen lassen will. Warum müssen Bands sich unbedingt Dildo Took A Taxi nennen? Oder Fleischlego? Heftig kämpft die deutsche Provinz um Aufmerksamkeitswerte, was öfters gutgeht, manchmal auch nicht. Aber auch ein paar echte Funde sind drin: Der Berliner Funny van Dannen zum Beispiel mit seiner erstmals auf Platte erschienenen Erörterung zum Thema Sentimentalität und Gesellschaft („Gib es zu, du warst beim Nana-Mouskouri- Konzert!“); oder die Nuts aus Altötting, die „diese Stadt so satt“ haben, aber weitgereist genug sind, um zu finden: Altötting ist überall. Bloß die Kardinal- und Sonntagsfrage – „Wo ist zu Hause Mama? Hinter diesen blauen Bergen“? – bleibt taktvollerweise einem natural born Ausländer überlassen, dem Besatzersohn Johnny Cash, der seine Militärzeit im bayrischen Landsberg abgeleistet hat (Aufnahme von 1959).

Antwort wird eigentlich nicht gegeben – was am Ende gut so ist. „Bierherz“ heißt Doblers letztes Buch, und ein etwas schaumiger, aber nicht unsympathischer alpenländischer Bieranarchismus ist auch die tiefere Stimmungsschiene dieser Sammlung negativer Heimatlieder: Wo immer du dein Maß in angenehmer Gesellschaft eingeschenkt bekommst, wo immer sie dir noch was Gescheites dazu singen, da häng den Hut an den Nagel, bloß da ist irgendwie zu Hause. Herbert Achternbusch sitzt unsichtbar mit in der Runde, der Papst ist fern, nicht jedes schiefe Wort wird da krummgenommen.

Das Schlußlicht bildet in diesem Sinne irgendwie zu Recht der Berliner Politentertainer und Kapuzinerprediger Wiglaf Droste, der sagt, was er immer sagt, daß nämlich Sting böse ist und Mattias Reim auch, zum Transport dieser Aussage einen bekannten US-Schlager namens „Bette Davis' Eyes“ zweckentfremdet, was, zu Ende gedacht, alles in allem keine besonders angenehme Vorstellung ist („Wiglaf Droste's Eyes!“), aber, obwohl der Mann ganz klar nicht singen kann, vielleicht auch aufgrund des angenehm düdeligen Versinkens, ja fast Verschwindens der Stimme im Arrangement hier eigentlich gar nicht weiter stört. Thomas Groß

Diverse: „Wo ist zu Hause Mama? Perlen deutschsprachiger Popmusik“. Trikont.

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