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Immer noch Wald in Wyhl

Vor zwanzig Jahren wurde der Bauplatz des geplanten Atomkraftwerks Wyhl besetzt / Das Gelände wird zum Naturschutzgebiet erklärt  ■ Von Niklaus Hablützel

Berlin (taz) – Der Mast steht mitten im Wald. „Irgend so ein Sender“, meint einer im Freiburger Büro des BUND. Sein Akzent ist stark elsässisch gefärbt. „Praktisch“ sei die Antenne, „da könne Sie sisch immer orientiere“. Genau dort nämlich, wo sie steht, war einmal ein Atomkraftwerk geplant.

Seit Mittwoch sitzen wieder Beamte über der Karte. Die Rheinauen bei Wyhl sollen zum Naturschutzgebiet erklärt werden. Auch das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg hat dem Ersuchen nachgegeben. „Ein Zeichen des hohen Respekts vor der Leistung der Bürgerbewegung am Oberrhein“, sagt Umweltminister Harald Schäfer (SPD) – in etwa ein bis zwei Jahren könnte das Verfahren abgeschlossen sein.

Es darf gefeiert werden. Am Wochenende sind Vorträge und Diskussionen unter dem Titel „Erinnerungen an die Zukunft“ angekündigt. Vor zwanzig Jahren rückten die Bautrupps im Wyhler Wald an, beauftragt vom Badenwerk und der Energieversorgung Schwaben. Die erste „Teilerrichtungsgenehmigung“ war gültig. Solche Worte kannten bisher nur Verwaltungsfachleute, doch das sollte sich von nun an ändern. Es war ein Montag. Die Bauarbeiter kamen nicht weit. Am Dienstag nahmen Bauern, Studenten und auch ein paar Wissenschaftler den Bauplatz in Besitz. Sie wurden von der Polizei vertrieben. Aber am Sonntag, dem 23. Februar 1975, kehrten sie zurück und blieben bis zum Sommer des nächsten Jahres. Der Name des badischen Dorfes Wyhl war zum Symbol geworden, zum ersten seiner Art für jene Bewegung, die mangels genauerer Definition bis heute „Anti-AKW- Bewegung“ heißt.

Sie war nicht in Wyhl entstanden, Großdemonstrationen gegen die Atomenergie hatten schon 1971 im benachbarten Fessenheim stattgefunden. Wyhl aber war der erste deutsche Schauplatz des zunächst verblüffend pädagogischen Protestes. Auf dem besetzten Platz wurden im „Haus der Freundschaft“ Vorträge gehalten, Atomphysiker wie Jens Scheer gaben hochqualifizierte Antworten auf noch so laienhafte Fragen. Doch es ging nicht nur um die Gefahr der radioaktiven Strahlung. Meteorologen und Winzer machten sich Gedanken über den Dampf aus den geplanten Kühltürmen. Sie warnten davor, daß der künstliche Nebel dem Weinbau im Rheintal ein Ende bereiten könnte.

Lehrer und Eltern waren in Bewegung geraten, sie organisierten eine „Volkshochschule Wyhler Wald“ und zogen über die Dörfer. Radikale Studenten, die sich gerade zum mehr oder weniger orthodoxen Marxismus bekehrt hatten, standen vor einem Problem. Bauernproteste gegen die Entwicklung der Produktivkräfte paßten nicht ins Bild. Aber der Protest hatte seine eigenen Formen gefunden. Schließlich war die Landesregierung bereit, zu verhandeln. Der Name „Wyhl“ steht deshalb nicht nur für den Aufbruch der neuen Bewegung, sondern auch für ihren ersten Kompromiß: Im Sommer 1976 zogen die Besetzer ab. In einem förmlichen Abkommen, der „Offenburger Vereinbarung“, hatten sie erreicht, daß die Landesregierung auf jede Strafanzeige gegen die Aktiven verzichtete und neue Gutachten über den Kraftwerkbau in Auftrag gab.

Das Gesicht war gewahrt, das AKW Wyhl mußte nicht mehr gebaut werden. Denn auch die Besetzer hatten nachgegeben. Nicht in Wyhl, aber sehr wohl anderswo setzten die deutschen Energieversorger ihr Atomprogramm fort. Und auch die Bauherren von Wyhl hielten 19 Jahre an ihrem Plan fest. Erst 1994 verzichteten sie auf ihren Anspruch, jene erste „Teilerrichtungsgenehmigung“ zu vollziehen. Und Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Spöri (SPD) glaubt noch heute, eine „Option“ für den Bau eines „konventionellen Kraftwerks“ sei an dieser Stelle für das Land „gegenwärtig unverzichtbar“.

Vorträge und Diskussionen am Samstag: 13.30 und 19.30 Uhr in Sasbach, Gastaus Limburg; Sonntag: 14 Uhr Waldspaziergang im Wyhler Wald, 15.30 Kaffee und Kuchen im evangelischen Gemeindehaus Weisweiler.

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