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Auf Eis gelegter Kinderwunsch

■ Tiefkühlkonservierung verändert Embryonen / Risiko auch für Retortenkinder?

Was Kritiker der neuen Fortpflanzungstechnologien schon lange vermuten, konnten französische Forscher jetzt belegen: Werden Embryonen tiefgekühlt aufbewahrt, dann beeinflußt das ihre spätere Entwicklung. Die Wissenschaftler vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) und dem Bicêtre Hospital in Paris froren Mäuseembryonen ein, tauten sie anschließend wieder auf und verpflanzten sie in die Gebärmutter eines Mäuseweibchens. Die später geborenen Mäuse wurden mit einer Testgruppe verglichen, die die Tiefkühlprozedur nicht über sich ergehen lassen mußte. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede: Tiefgefrorene Tiere hatten in der Regel ein größeres Gewicht, einen anders geformten Unterkiefer und schnitten in Lerntests teilweise schlechter ab als die Vergleichsgruppe.

Die Ergebnisse sind besonders deshalb so brisant, weil in der modernen Fortpflanzungsmedizin auch menschliche Embryonen tiefgekühlt werden. Diese sogenannte Kryokonservierung ist in vielen Ländern gängige Praxis: Gelingt es nicht auf Anhieb, der zukünftigen Mutter einen Embryo einzupflanzen, dann wird einfach eines seiner auf Eis gelegten Geschwister aufgetaut. So kommt es, daß weltweit bereits mehr als zehntausend Kinder die erste Zeit nach der Befruchtung bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff verbracht haben – die meisten von ihnen sind noch keine acht Jahre alt. Langzeitstudien über mögliche Risiken können deshalb auch noch nicht existieren. „Wir sind mitten in einem Menschenversuch“ sagt Maurice Auroux, der als führender Biologe der Pariser Klinik an den neuen Forschungsergebnissen beteiligt ist. In Frankreich ist jetzt wieder eine Diskussion um die Technik entbrannt, die Tageszeitung Le Monde berichtete auf der Titelseite.

Bei uns ist es zwar gesetzlich verboten, Embryonen auf Vorrat zu produzieren, Spermien, unbefruchtete Eizellen sowie befruchtete Eizellen vor der Kernverschmelzung werden jedoch auch hierzulande routinemäßig tiefgekühlt. Der wissenschaftliche Direktor des Deutschen Instituts für Reproduktionsmedizin in Bad Münder, Ulrich Schneider, will nicht ausschließen, daß auch dies die Entwicklung der späteren Kinder beeinflussen könnte. Grundsätzlich beurteilt er aber die Ergebnisse seiner französischen Kollegen eher skeptisch. Er bezweifelt, daß sie auf den Menschen übertragen werden können. Außerdem sei auch die natürliche Kinderzeugung immer mit Risiken verbunden. Schneider: „Man muß auch die andere Seite sehen. Viele Paare sind in Deutschland ungewollt kinderlos. Es gilt, diesen Kinderwunsch mit dem Restrisiko abzuwägen.“ Matthias Selbach

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