: 600 Mädchen diskutierten und kicherten
■ Riesenandrang beim ersten Mädchenparlament / Frauensenatorin gab drei Versprechen
Keine interessierte sich für „Power in die Schülervertretungs-Arbeit“. Dagegen strömten gestern beim ersten Bremer Mädchenparlament im Bürgerhaus Vegesack 140 Mädchen in die Gruppe „Let's talk about sex“. Dann aber sitzen sie stumm da, kichern höchstens ein bißchen: „Wir wollten nur mal schauen, was da so läuft“. Ein Vormittag reicht eben nicht hin, stellen die Organisatorinnen fest, denn Beratschlagungsbedarf gibt es zuhauf: Wo kann man einen Aids-Test machen lassen, tut das erste Mal weh, woran merke ich einen Orgasmus? Solche Fragen stellen die Mädchen anonym auf Zetteln. Außerdem wollen die 17jährigen beim nächsten Mal nicht mit den 12jährigen zusammenhocken: „Die Jüngeren sagen, daß Jungs nur Sex im Kopf haben, das ist doch ein Vorurteil“, schimpfen zwei 17jährige.
Im Foyer bietet unterdessen eine Lehrerin ihre ganze Autorität auf, um drei feixende Jungs zu verscheuchen. „Ausgerechnet die beiden Machos der Klasse“, murmelt sie. Sie hat „ihre“ Mädchen zum Frauentag begleitet. Andere Mädchen sind nur zu zweit gekommen, ihre Klassenkameradinnen schreiben Klausuren. Nicht in allen Schulen bekamen die Mädchen umstandslos frei. „Wir haben gestern erfahren“, berichten zwei Oberstüflerinnen, „daß wir eine schriftliche Entschuldigung vom Tutor oder von der Lehrerin brauchen“. Sie fehlen unentschuldigt. Seit wann muß man sich für Parlamentsarbeit entschuldigen!
Und mit der Bezeichnung „Parlament“ meinen es die InitiatorInnen, die Bremer Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Hauffe, und Anette Klasing vom Lidice-Haus, durchaus ernst: „Ihr seid im Moment die Vertretung der Mädchen in Bremen Nord, Ihr beschließt was, fordert was, nachher sind auch die Presse und Frauensenatorin Uhl da“, ermuntert Ulrike Hauffe die 600 Mädchen.
Und an Wünschen und Forderungen kommt einiges zusammen: Daß sie für laute Kritik nicht mit mehr Hausaufgaben bestraft werden, fordern zum Beispiel die Mädchen in der AG „Laut, leise – Wut haben“. Sie überlegen auch, warum es einerseits gut tut, wütend zu sein, und warum Mädchen andererseits danach so schrecklich von Schuldgefühlen geplagt werden.
Auf der Treppe im Foyer hocken derweil zwei Mädchen und rauchen. Nichts Interessantes gefunden? „Och, nöö.“ Was hätte sie denn interessiert? „Ooch, weiß nicht.“ Trotzdem sei das immer noch besser als Schule. Dagegen wissen zwanzig andere junge Frauen ziemlich genau, was sie wollen: über den Islam und die Kopftuchfrage diskutieren. Und es kommen nicht nur TürkInnen, davon drei mit Kopftuch, sondern genausoviel deutsche Mädchen. Allerdings setzen sie sich erstmal getrennt nach Herkunft. „Mischen“, sagt die Gruppenleiterin.
Und dann geht es los, unwissend, aber ernsthaft und neugierig: „Warum trägst du ein Kopftuch?“ – „Damit wir die Männer nicht reizen, ich also nicht eine Sünde begehe“, gibt das Mädchen klar und selbstbewußt zurück, „denn im Koran ist Selbstbefriedigung verboten“. – „Aber die Sünde begehst doch nicht du", gibt ratlos ein deutsches Mädchen zurück. Es bleibt ein leises Unbehagen bei den deutschen Mädchen. Trotzdem möchte man unbedingt aufeinander zugehen: „Ich hab' keine türkische Freundin, weil bei uns keine Türken in der Klasse sind“, klagt eine. „Nimm doch mich“, gibt die kecke Türkin in Jeanshemd und Krawatte zurück. Großes Gelächter.
Und rauschender Beifall, als nachher im Parlament eine junge, bekopftuchte Türkin die Gruppenforderung ins Mikro spricht: „Die Lehrer sollen sich besser informieren und mit Schülern über verschiedene Religionen und Kulturen reden.“ Pause. „Und ich als Ausländerin will hier auch Wahlrecht haben. Und ich will auch so akzeptiert werden, wie ich bin.“ Jetzt bleibt keine Hand mehr ruhig.
Damit die in insgesamt 13 Workshops erarbeiteten Forderungen nicht verpuffen, die Mädchen sich also nicht verhohnepipelt fühlen müssen, verspricht Frauensenatorin Sabine Uhl, sich um drei Punkte zu kümmern: Sie will Sportvereine und Schulen ermuntern, mehr Selbstverteidigungskurse anzubieten. Sie will das Arbeitsamt auffordern, viel früher in den Schulen Berufsberatung anzubieten. Die Mädchen nämlich wünschen sich eine spezifische Berufsberatung für Mädchen und mehr Infos über mädchenuntypische Berufe. Und Uhl will einen Mädchentreff in Bremen Nord einrichten. Jubel. „Danach könnt Ihr mich dann am nächsten Frauentag fragen“, sagt Sabine Uhl. Ab jetzt steht sie unter Beobachtung. cis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen