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Japan in der Dollarfalle

Der japanische Wirtschaftsaufschwung ist in Gefahr  ■ Aus Tokio Georg Blume

Tadahiro Sekimoto, der ergraute Vorsitzende von Japans größtem Computerhersteller NEC, ist gewöhnlich kein Mann für große Worte. Doch schon seit Monaten muß Sekimoto hilflos mit ansehen, wie billige PC-Exporte aus den USA die Marktanteile von NEC überall auf der Welt zurückstutzen. Der aktuelle Grund: Mit dem sinkenden Dollar werden die US-Exporte billiger, der steigende Yen macht NEC-Produkte dagegen teurer. Das erneute Rekordtief des Dollars am Mittwoch in Tokio brachte den NEC-Chef zum Platzen: „Bei einem Dollarkurs von 90 Yen besteht ernsthafte Gefahr, daß der Aufschwung der japanischen Wirtschaft erlahmt“, schimpfte der Konzernweise. „Tatsächlich könnten wir Zeugen des Beginns einer Krise sein, welche die gesamte Weltwirtschaft erfassen kann.“

Wie in Deutschland leben auch in Japan die führenden High-Tech- Firmen zum großen Teil vom Export. Gerade die steigende Nachfrage einer schnell wachsenden US-Wirtschaft hatte Japan im letzten Jahr geholfen, die Talsohle der Rezession zu verlassen. Nach wie vor gehen ein Drittel aller japanischen Ausfuhren in die USA, außerdem sind die Währungen zahlreicher südostasiatischer Staaten an den Dollar gebunden. Somit ist die japanische Exportwirtschaft sogar in viel größerem Maß vom Dollarkurs abhängig als die deutsche.

Wen wundert's also, wenn gestern auch Finanzminister Masayoshi Takemura „tiefe Besorgnis“ über die Entwicklung der Wechselkurse äußerte und einmal mehr erfolglos die G-7-Staaten zum gemeinsamen Eingreifen aufrief. Währendessen sank der Dollar auf einen Tagestiefststand von 88,72 Yen zeitgleich mit den Aktienkursen in Tokio und Hongkong, deren Indexwerte zwischen 1,5 und 2 Prozent einbüßten.

Trotzdem wurde die Dollarkrise auch gestern in den ostasiatischen Ländern sehr unterschiedlich bewertet: „Die Entwicklung wird eine allgemein positive Wirkung auf südkoreanische Unternehmen haben“, behauptete forsch Lee Jung Seung, Sprecher der führenden südkoreanischen Unternehmensgruppe Daewoo. Weil Daewoo als Automobil-, Schiffs- und Elektronikhersteller hauptsächlich mit japanischen Unternehmen konkurriert, erhofft sich der Konzern aufgrund des hohen Yen-Kurses unmittelbare Wettbewerbsvorteile. Obwohl damit auf den ersten Blick gegensätzlich, gründen die Reaktionen in Asien dennoch auf einer gemeinsamen Basis: nämlich der allgemein hohen Exportorientierung der regionalen Volkswirtschaften. Nur wenige ließen dabei wie NEC- Chef Sekimoto durchblicken, daß es diesmal um sehr viel mehr als das eigene Exportgeschäft gehen kann: Denn die rekordbrechenden Yen-Kurse – ein willkommenes Phänomen der achtziger Jahre, als Japans High-Tech-Industrien die Welt zu überflügeln schienen – könnten in den neunziger Jahren gewaltiges Unheil anrichten.

Schon jetzt ist der japanische Handelsüberschuß – wenngleich im letzten Jahr auf Rekordhöhe – tendenziell rückläufig. Der hohe Yen kann diese Entwicklung nun verstärken und damit die Gewinnaussichten der wichtigsten Unternehmen drastisch verschlechtern. Die Folge wären weiter sinkende Aktienkurse und eine damit einhergehende Verschärfung der Krise des japanischen Bankensystems, auf dem bis heute mehrere hundert Milliarden Mark rückzahlungsunfähiger Kredite aus den Spekulationsjahren lasten.

So benötigt heute ausgerechnet die größte Kreditgebernation der Welt ihr anderswo dringend gebrauchtes Kapital, um die Bankenkrise zu lindern und einen Einbruch der Börse zu verhindern. Die Kreditausgabe der zehn größten japanischen Banken, von denen sieben wiederum zu den größten zehn der Welt gehören, sank deshalb in den vergangenen sechs Monaten sensationell um ein Prozent – denn mit ihnen läßt sich auch das amerikanische Staatsdefizit nicht mehr wie in den achtziger Jahren billig finanzieren. Das könnte die USA bald zu Zinserhöhungen zwingen.

Erst dieser Hintergrund macht die Dollarkrise dramatisch: Täglich wird wahrscheinlicher, daß sich die Bankschuldenkrise in Japan und die Staatsschuldenkrise in den USA gegenseitig verstärken und einen rasanten Vertrauensverlust in die Wachstumschancen der beiden größten Wirtschaftsmächte bedingen. „Es gibt keine gesunden Gründe für das plötzliche Yen- Hoch“, unkte gestern NEC-Chef Sekimoto. Er hatte begriffen, was die Weltwirtschaftslage so ungesund macht.

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