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Der tägliche Rhythmus des Lebens

■ Forscher versuchen zu erklären, was unsere inneren Uhren zum Ticken bringt

Wer kennt das nicht: Man vergißt, den Wecker zu stellen, und trotzdem wacht man am nächsten Morgen genau zur gewohnten Zeit auf. Wie alle Tiere und Pflanzen verfügt auch der Mensch über eine innere Uhr, die seine Tagesaktivität bestimmt. Besonders die Tiefpunkte der Aktivität sind für unseren Alltag relevant. Um etwa 3 Uhr nachts durchlaufen wir das Haupttief, aber auch um 2 Uhr mittags sind wir weniger leistungsfähig als sonst. Zu diesen Zeiten passieren auch die meisten Pannen: angefangen mit der verschütteten Kaffeetasse über Verkehrsunfälle bis hin zu Katastrophen. Ob in Tschernobyl, auf dem Tanker Exxon Valdez oder in der Industrieanlage in Bhopal – Forscher machen stets die innere Uhr für die Katastrophen mitverantwortlich. „Es wird unterschätzt, daß der Mensch keine Maschine ist“, sagt Jürgen Zulley, Schlafforscher und Leitender Psychologe am Bezirkskrankenhaus Regensburg. Seiner Ansicht nach werden die Auswirkungen des Zeitgebers auf menschliches Verhalten nicht genügend berücksichtigt.

Obwohl das innere Uhrwerk den Tagesablauf unmittelbar beeinflußt, ist sein Mechanismus unbekannt. Man hat aber entdeckt, daß einige Gene zu bestimmten Zeiten an- und abgeschaltet werden. Auch die Menge mancher Proteine schwankt rhythmisch. Forscher vermuten daher, daß Proteine die molekularen Zeitgeber der Uhr sind. Ihre Konzentrationsschwankung stellt praktisch das schrittmachende Pendel dar.

Besonders rätselhaft war bisher, warum sich der Taktgeber nicht von der Temperatur beeinflussen läßt. Alle anderen biologischen Prozesse sind in hohem Maße von Temperaturschwankungen betroffen: In der Wärme laufen alle Reaktionen schneller ab – nur für die Uhr gilt das erstaunlicherweise nicht. Michael Rosbash und seine KollegInnen an der Brandeis University im US-Bundestaat Massachusetts konnten jetzt zeigen, wie das zelluläre Uhrwerk diese Leistung vollbringt. Das Prinzip ist einfach, aber genial: Die Menge eines Proteins namens PER, dessen periodische Schwankung die innere Uhr der Fruchtfliege Drosophila steuert, wird von zwei Reaktionen reguliert. Während die eine Reaktion die Menge des aktiven PERs erhöht, überführt eine andere das Protein in einen inaktiven Ruhezustand. Beide Prozesse werden im gleichen Maße von der Temperatur beeinflußt. „Wenn man zwei Reaktionen hat, die miteinander konkurrieren, und beide haben dieselbe Temperaturabhängigkeit, dann gleichen sie sich gegenseitig aus“, sagt Rosbash.

Trotz der neuen Ergebnisse wird es aber sicher noch einige Zeit dauern, bis der Rhythmus des Lebens aufgeklärt ist. Matthias Selbach

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