: Nur noch Fertigsuppe für Flüchtlinge
■ Das neue Ausländerleistungsgesetz übertrifft selbst die schlimmsten Erwartungen / Auch wer schon lange hier ist, bekommt nur noch Sachleistungen / 600.000 Menschen sind davon betroffen
Berlin (taz) – Bischöfe protestierten gegen die soziale Ausgrenzung. Flüchtlingsgruppen kündigten Widerstand an. Ärzte warnten vor den gesundheitlichen Folgen. Gerichte bezweifelten die Verfassungsmäßigkeit: Bevor das Asylbewerberleistungsgesetz im November 1993 in Kraft trat, schlug ein breites gesellschaftliches Spektrum Alarm gegen die geplante Diskriminierung von Ausländern auf dem Finanzwege. Verhindern konnte man das umstrittene Gesetzeswerk damals nicht: seit fast eineinhalb Jahren bekommen deshalb neueinreisende Asylbewerber ein Viertel weniger staatliche Mindestunterstützung als Deutsche, und diese Hilfe wird nur als Gnadenbrot in Form von Naturalien und Sachleistungen gewährt.
Aber die breiten Proteste im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung konnten zumindest eines bewirken: Im Gegenzug für die sozialdemokratische Zustimmung zum Asylkompromiß handelte eine aufgescheuchte SPD der Regierungskoalition ein Zugeständnis ab. Zumindest für Bürgerkriegsflüchtlinge, geduldete Ausländer und Asylbewerber, die bereits länger als zwölf Monate hier leben, sollten die geplanten Sozialhilfekürzungen und -reglementierungen nicht gelten. So wurde es im Paragraph zwei des Asylbewerberleistungsgesetzes festgelegt.
Doch der kleine sozialdemokratische Verhandlungserfolg war Politware mit kurzem Verfallsdatum. Schon nach wenigen Monaten versuchten vor allem die ostdeutschen Bundesländer, die ausgehandelte Regelung zu unterlaufen: nach dem Motto „legal, illegal, scheißegal“ wurden auch Bürgerkriegsflüchtlinge unter das neue Gesetz subsumiert. In Sammelunterkünften wurden sie statt mit Bargeld mit billigen Freßpaketen versorgt. Und auch Asylbewerber, die bereits länger als die im Gesetz festgelegte Jahresfrist in Deutschland waren, sahen von ihrer Sozialunterstützung oft nur Fertignahrung und Wertgutscheine.
Immer wieder riefen die Gerichte die zuständigen Sozialministerien zur Räson. In zahllosen Fällen gaben die Richter den Klagen der betroffenen Ausländer gegen die Mittelkürzung statt. Als sich die Rügen der Verwaltungsgerichte häuften, suchten die Länder einen einfachen Ausweg: Wenn die Paragraphen so sind, daß man sie nicht einhalten will, dann muß man sie eben ändern. Bayern und Baden- Württemberg machten deshalb im vergangenen Jahr mit eigenen Gesetzesinitiativen die ersten juristischen Vorstöße, das Asylbewerberleistungsgesetz auf andere Flüchtlingsgruppen auszudehnen. Nach den Wahlen verkündete dann Gesundheitsminister Seehofer – seit der Kabinettsumbildung zuständig für die Sozialhilfe –, er werde im Zuge einer „umfassenden Sozialhilfereform“ auch das Asylbewerberleistungsgesetz novellieren. Dieses Anliegen war offenbar vordringlichste Ministerpflicht: Noch bevor die anderen Sozialhilfeänderungen vorliegen, ist Seehofer jetzt mit seinem „Ausländerleistungsgesetz“ vorgeprescht. Die vorgesehenen Neuerungen übertreffen die schlimmsten Befürchtungen.
Notorische Schwarzseher hatten schon beim Asylbewerberleistungsgesetz gewarnt, die Leistungskürzungen für Flüchtlinge seien nur ein Testballon dafür, ob man nicht auch noch andere gesellschaftliche Gruppen aus dem Sozialsystem herausdividieren könne. Der neue Gesetzentwurf bestätigt diese These im Nachhinein: Offizielle Begründung für das Asylbewerberleistungsgesetz war 1993 weniger der Spar- als vielmehr der Straf- und Abschreckungseffekt. Die Senkung der Sozialhilfe und die Verweigerung von Bargeld sollte das Wohlstandsparadies Deutschland für die „Wirtschaftsasylanten“ unattraktiv machen. 1995, nach der Abschottung der Bundesrepublik durch das neue Asylgesetz, wäre dies eigentlich überflüssig. Doch anstatt das Gesetz abzuschaffen, wird es jetzt auf andere Gruppen ausgedehnt. Selbst nach offizieller Version dient es jetzt nicht mehr dem erklärten Ziel der Abschreckung, sondern allein der Kostenersparnis. O-Ton Gesetzesbegründung: „Da die Asylbewerberzahlen seit damals zurückgegangen sind (1992: 438.000; 1993: 322.599; 1994: 127.000) und die Zahl der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zugenommen hat (...) haben sich die Gewichte der zu regelnden Probleme verschoben.“ In Zahlen: weil für das kommende Jahr nur noch 90.000 neue Asylbewerber erwartet werden, auf die das alte Gesetz zutreffen würde, schafft man ein neues, das für mindestens 600.000 gelten soll.
Für die vielen Flüchtlingsinitiativen, Kirchengruppen, Wohlfahrtsverbände und Ärzteorganisationen, die sich gegen das Asylbewerberleistungsgesetz engagierten, ist das eine makabre politische Erfahrung. Das bisher geltende Gesetz, vor dessen Folgen sie immer gewarnt haben, wird abgeschafft – um einem weit gravierenderen Platz zu machen. Vera Gaserow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen