piwik no script img

Sinnlicher Klimakiller: Eine Legende bröckelt

Der Berliner Kohleofen macht Arbeit und versaut die Umwelt, doch ein Verbot würde eine Revolution provozieren / Um die Gemütlichkeit zu erhalten, wird dem Kachelklotz sogar der Tagesrhythmus angepaßt / Eine Umschau von  ■ Henrik Mortsiefer

Ich habe keinen Kohleofen. Seit ich denken kann, gibt es Zentralheizungen in meiner häuslichen Umwelt. Als ich nach Berlin kam, hörte ich von den Kohleöfen-Menschen, die beim Aufwachen an kalten Wintertagen mit Grauen an ihre vereisten Bäder denken, wo die Zahncreme in der Tube gefriert, und die von feinem Aschenstaub bedeckt beim Frühstück sitzen. Was mich, der ich wieder glücklicher Nutznießer einer Zentralheizung war, restlos für diese robusten Zeitgenossen einnahm, war die Hartnäckigkeit, mit der sie chronisch verschnupft am Mythos Kohleofen festhielten.

Susanne Pomrehn, Künstlerin und Kohleheizerin aus Prenzlauer Berg, erklärt das Phänomen: „Wohnen mit Kohleöfen ist sinnlicher“, sagt sie, „weil Kohlen, Feuer und Staub für mich Erdverbundenheit symbolisieren. Das ist weniger steril als die Zentralheizung.“ Wie alle erfahrenen Kohlenutzer hat auch sie Timing und Dosierung der Brennstoffversorgung fein abgestimmt: „Man lernt seinen Ofen kennen, der Alltag verläuft gewissermaßen in Kohlezyklen.“ Den Mythos nimmt sie pragmatisch, schließlich sei das Leben mit der Kohle so mühevoll, da müsse man schon mehr daraus machen.

Doch das Fossil im Zeitalter moderner Heizungstechnik hat seit der Entdeckung des Treibhauseffekts einen schweren Stand. Zumal in Berlin, der Hauptstadt des Kohleofens, wo in zahlreichen Wohnungen noch Briketts glühen. Als Kohlendioxid-Schleuder und Klimakiller in Verruf geraten, soll der Ofen aus der Innenstadt verschwinden. Eine Legende bröckelt, und der Senat hat sich als Gastgeber der UN-Klimakonferenz offenbar viel vorgenommen. Ende letzten Jahres stieß er ein Energiekonzept für die Hauptstadt aus, das bis zum Jahr 2010 eine Reduzierung der Kohlendioxidemission pro Kopf um mindestens 25 Prozent vorsieht. Bereits im Oktober 1993 – Berlin träumte noch vom olympischen Feuer – hatte der Senat eine Innenstadtverordnung erlassen, nach der bis zum Jahr 2002 alle kohlebefeuerten Feuerstätten innerhalb des S-Bahn-Rings abgebaut sein müssen.

Nach Protesten der Ofenbau- Innung und anderer von der Kohle lebender Branchen wurde das Projekt zunächst auf Eis gelegt. Seit einigen Wochen ist wieder von einer Neuauflage die Rede. An einem Beschluß, so ist in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz zu hören, wird gearbeitet, über konkrete Maßnahmen soll die Öffentlichkeit in Kürze informiert werden.

Andere Stimmen innerhalb der gleichen Verwaltung lassen durchblicken, daß eine solche Verordnung gar nicht mehr gebraucht werde: Durch die vielen Abrisse gebe es in der Innenstadt praktisch keine Konzentration mehr. Und wegen der verbleibenden Öfen werde man die Gefahr massiver Gegenwehr nicht eingehen.

Schon zu Großvaters Zeiten, als von der Klimakatastrophe noch niemand sprach, wurden bescheidene Anstrengungen unternommen, die Berliner vom Gestank der Kohleöfen zu befreien. 1925 berichtet Felix Eberty in seinen „Jugenderinnerungen eines alten Berliners“ vom Räuchern mit „duftigen Essenzen“ und einem „Potpourrie aus gesalzenen Rosen- und anderen wohlriechenden Blättern“. Die aromatischen Zusätze konnten freilich schon damals nicht verhindern, daß bei der vorsintflutlichen Ofenbeheizung „nicht nur unendliches Feuerungsmaterial draufging, sondern auch die heilsame Luftreinigung durch Ventilation gehindert war“.

Die Luft im Treibhaus der Gegenwart ist bedeutend dicker geworden, umweltfreundliche Alternativen zur Kohle sind verfügbar. Bei der Erdgasverbrennung etwa wird pro Kilowattstunde ein Drittel weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen.

Im Programm ökologischer Energiepolitik werden Kohleheizungen deshalb nur noch als Altlasten geführt. Ein Grund zur Klage für die traditionsreiche Zunft der Ofenbauer, die schon seit zwanzig Jahren mit einer schrumpfenden Nachfrage kämpft.

Wolfgang Baumbeck, Obermeister der Ofenbau-Innung Berlin, erklärt, daß seit 1983 jährlich etwa 30.000 Kohleöfen abgebaut wurden. „Der Markt hat sich selbst bereinigt.“ Viele der 72 Berliner Innungsbetriebe im Ofen- und Brennstoffhandel haben ihre Meisterschaft längst aufs Fliesenlegen oder andere berufsverwandte Tätigkeiten ausgedehnt, weil in den Innenstadtbezirken in der Regel nur noch Reparatur- und Abbrucharbeiten anfallen.

Hoffnungen werden auf Häuslebauer in den Außenbezirken und im Berliner Umland gesetzt. Dort könnte der Kachelofen eine Renaissance erleben, als Garant zentralbeheizter Eigenheimgemütlichkeit und zusätzlicher Wärmespender.

Nach Baumbecks Rechnung stehen in der Innenstadt aber immer noch rund 450.000 Beistell-, Bade- und Dauerbrandöfen. „Erheblich mehr, als der Senat wahrhaben will“, so der Innungs-Obermeister. Um nachzuweisen, wie mit einem Großteil der noch vorhandenen Öfen ruß- und schadstoffarm geheizt werden kann, führt der Verband seit Januar dieses Jahres ein sogenanntes Pilotofenverfahren durch. Das in Kürze auslaufende Projekt testet Kaminöfen, die veredelte Braunkohle verbrennen und über eine verbesserte Sauerstoffzufuhr verfügen.

„Wir werden der Öffentlichkeit beweisen“, so Wolfgang Baumbeck, „daß die neue Technik die Emissionswerte drastisch senkt“. Schon die in der Vergangenheit präsentierten Modernisierungsergebnisse hätten den Senat offenbar überzeugt. Baumbeck beruft sich auf ein drei Monate altes Schreiben des Wirtschaftssenators, in dem dieser versichert, die Kahlschlagsanierung sei derzeit „kein Thema“.

Daß sich die Zunft trotzdem für alle Fälle wappnet, zeigen Kurse der Handwerkskammer: In denen wird den Ofenbauern die Konstruktion von Kachelöfen nähergebracht, die mit Gaseinsatz funktionieren. Sollten die Sanierungspläne also doch noch Wirklichkeit werden, müßten nicht zuletzt viele Mieter um ihren heute noch günstigen Wohnraum fürchten. Denn wenn Eigentümer mit Zentralheizungen ausstatten, gilt das als Modernisierung, die den Wohnwert verbessert. Daher kann ein erheblicher Teil der Kosten auf die Mieter umgelegt werden – Wohnungsmieten werden erheblich höher. Ein sozialpolitisches Argument, das auch die in Not geratenen Ofenbauer entdeckt haben. „Wer heute noch Kohlen schleppt, müßte morgen zum Sozialamt gehen“ heißt es im Charlottenburger Betrieb von Horst Heller.

Kollege Helmut Braun hingegen, der im Bezirk Prenzlauer Berg mit Brennstoffen aller Art handelt, sieht der Verbannung des Kohleofens gelassener entgegen. „Ich habe bis zum Jahr 2000 keine Sorgen, mit meinen acht Mann arbeitslos zu werden“, erklärt er. Selbst in die noblen Seitenstraßen des Ku'damms liefere er heute noch Kohlen.

Von den Sanierungsabsichten des Senats hält er wenig: „Das schaffen die im Prenzlauer Berg nie!“ In Mitte oder am Ku'damm sei die Umstellung vielleicht machbar, aber Pankow, Weißensee und Prenzelberg, „darüber können wir hier nur lachen“. Seine finale Prognose: „Wenn hier die Häuser für die Zentralheizung angebohrt werden, fallen die einfach um.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen