: Berichte über Massaker in Samaschki bestätigt
■ Russische Soldaten brachten in dem tschetschenischen Dorf über 200 Menschen um / Duma-Abgeordneter greift Menschenrechtsbewegung Memorial scharf an
Moskau (taz) – „Samaschki kann man in einem Atemzug mit Lidice und Kattyn nennen“, schreibt die Wochenzeitung Moskowskije Nowosti in ihrer letzten Ausgabe. Die tschetschenische Ortschaft wurde von russischen Einheiten nach sechs Tagen erbitterter Belagerung am 12. April genommen. Weder Mitarbeiter des Roten Kreuzes noch Journalisten ließ man zunächst an den Ort des Grauens vor. Das förderte Vermutungen, russische Einheiten hätten fürchterlich gewütet und wollten nun Spuren verwischen. Mittlerweile liegen ausreichend Hinweise vor, wonach die anrückenden Truppen in Samaschki tatsächlich ein selbst für diesen brutalen Krieg unbekanntes Exempel statuiert haben. Von über zweihundert Toten berichten die Medien.
Eine offizielle Delegation des russischen Parlaments unter Leitung des Abgeordneten Stanislaw Goworuchin wies die Berichte über das Massaker als erfunden zurück. In der Duma wird die Schlacht um Tschetschenien fortgeführt. Goworuchin nannte lediglich dreißig Opfer. Die Zahl ist eigentlich nebensächlich, Art und Weise, wie die Menschen hingeschlachtet wurden, reicht aus, um die Vorgänge ein Massaker zu nennen. Haufenweise verkohlte Leichen wurden gefunden wie bisher nach keinem Angriff. Manche waren bis auf Skelettrudimente verbrannt. Eine Gruppe von Flüchtlingen soll in einem nahe gelegenen Waldstück bis auf wenige Ausnahmen niedergemäht worden sein. Tschetschenen sagten aus, Soldaten wären mit Flammenwerfen von Haus zu Haus gezogen. Wo schon Opfer lagen, wurde alles niedergebrannt. Möglichst keine Beweise und keine Zeugen zu hinterlassen, sei das Ziel gewesen.
Die Abgeordneten der demokratischen Fraktion Wahl Rußlands, Anatolij Schabad und Lew Ponomarjew, hatten gleich zu Anfang auf die ungewöhnliche Brutalität hingewiesen und die Ereignisse als Massaker qualifiziert. Goworuchin forderte vor der Duma, gegen beide Abgeordneten nun ein Strafverfahren zu eröffnen. Der Tenor der Anklage ist klar: Vaterlandsverräter. Die Verbreitung solcher „subversiven Nachrichten, die das Land diskreditieren“, sei für jeden Russen eine Beleidigung. „Nur im Rausch der Russophobie“ hätte die Menschenrechtsbewegung „Memorial“ im Zusammenspiel mit den Abgeordneten einen Text verbreiten können, in dem Soldaten bezichtigt wurden, Kinder erhängt zu haben. Tatsächlich scheint am Vorabend der Feierlichkeiten des Sieges über den Faschismus in Moskau kaum einer wahrhaben zu wollen, daß die Armee zu solchen Taten in der Lage ist. Klaus-Helge Donath
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