piwik no script img

Kroatien: Die UNO weiß nur wenig

■ Keine Beweise für kroatische Übergriffe gegen Serben

Zagreb (taz) – Schwere Beschuldigungen haben Sprecher der UNO-Truppen in Kroatien gegenüber dem kroatischen Militär erhoben. So sollen während der kroatischen Militäraktion in Westslawonien vorige Woche fliehende serbische Zivilisten von kroatischen Truppen beschossen worden sein. Die UN-Vertreter sprachen von mindestens 30 Toten.

Die Zivilisten haben nach Darstellung des UNO-Sprechers Fred Eckhard auf einer Straße in Richtung der Brücke von Stara Gradiska den Tod gefunden. Auf Nachfragen von Journalisten mußte der Sprecher jedoch zugeben, daß nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Zivilisten in ein Kreuzfeuer zwischen serbischen Truppen und kroatischen Truppen geraten waren. Von den Leichen der getöteten serbischen Zivilisten fehle bisher jede Spur. Die Ereignisse seien durch Zeugenaussagen von über 100 serbischen Flüchtlingen in Baja Luka rekonstruiert worden. Auch nepalesische UNO- Truppen, die kurze Zeit später am Ort des Geschehens aufgetaucht seien, hätten Leichen am Straßenrand gesehen.

Kroatische Zeitungen sprechen dagegen von Schüssen, die von der bosnisch-serbischen Seite aus auf die Flüchtlinge abgegeben wurden, um sie von der Flucht ins bosnisch besetzte Gebiet abzuhalten. Daraufhin sei eine MiG 21 der kroatischen Armee aufgestiegen, um diese Stellungen zu beschießen.

Beide Darstellungen scheinen nicht dazu angetan, Licht ins Dunkel der Ereignisse an der Brücke am Montag und Dienstag letzter Woche zu bringen. Es wurden offenbar weder Fotos gemacht noch in anderer Weise Spuren gesichert. Und daß die kroatische Luftwaffe das Leben eines ihrer Piloten riskiert, um die serbischen Flüchtlinge vor den Schüssen der serbischen Bosnier zu schützen, hat wohl weniger mit Wahrheit als mit Propaganda zu tun. Immerhin gab die kroatische Seite bekannt, daß zwischen 350 und 400 Serben bei der Militäraktion letzte Woche das Leben verloren hätten.

Daß die Kriegsparteien Propaganda betreiben, ist keine Überraschung. Daß jedoch die UNO- Sprecher mit derart vagen Behauptungen vor die Öffentlichkeit treten, überraschte viele Beobachter. Zweifel an den Berichten der UNO wurden auch durch eine weitere Darstellung Eckhards genährt. Danach seien nicht nur das Franziskanerkloster und eine katholische Kirche bei Banja Luka, sondern auch „orthodoxe Kirchen“ in Okučani, einer Stadt in den von der kroatischen Armee zurückeroberten Gebieten, zerstört worden. Auf Nachfragen mußte der Sprecher eingestehen, daß diese Vorfälle nicht in Okučani registriert wurden, sondern 15 Kilometer westlich. Über den Umfang der Beschädigungen konnten die UNO-Sprecher keine Angaben machen. Nun soll eine Kommission des Menschenrechtsbeauftragten Tateusz Masowieczki die Ereignisse während der kroatischen Militäraktion untersuchen.

Schon in den letzten Tagen hatten die UNO-Sprecher mit ihren Darstellungen der Ereignisse für Verwirrung gesorgt. Nicht nur daß ungeprüft serbische Angaben über ein „Blutbad“ am letzten Dienstag zur Grundlage eines Beschlusses des Weltsicherheitsrates gemacht wurden, auch die Darstellung der Eroberung von Gavranica, einem mehrheitlich serbisch bewohnten Vorort von Pakrac, hat sich später als falsch herausgestellt. Nach kroatischen Angaben wurden bis gestern 320 gefangene serbische Soldaten in ihre Heimatorte entlassen. Die Entlassungen sollen kontinuierlich fortgesetzt werden. Diejenigen Soldaten, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, bleiben in Haft. Im Moment betrifft dies neun Personen. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen