piwik no script img

„Für mich gab es immer nur Fußball“

DDR-Nationalspieler Uwe Rösler hat sich in England einen Traum erfüllt  ■ Aus Manchester Ralf Sotscheck

An das Linksfahren habe er sich schnell gewöhnt, sagt Uwe Rösler. Aber wenn er zu Fuß die Straße überqueren will, schaue er manchmal noch in die falsche Richtung. Wir fahren durch die Moss Side, die Heimat des Fußballclubs Manchester City. Seit 15 Monaten ist das auch die Heimat des fünffachen DDR-Nationalspielers Rösler.

Die backsteinroten Reihenhäuser ohne Vorgärten sind klein, die Straßen schmal und mit Abfall übersät. „Vor hundert Jahren war das ein Arbeiterviertel“, sagt Rösler, der Leipziger, „und die Leute sind immer zum Fußball gegangen. Da hat man das Stadion hier reingebaut. Jetzt sind die alle arbeitslos, die Armut ist riesengroß.“ In dem Viertel leben mindestens 23 verschiedene ethnische Gruppen, die größte ist die aus Jamaika. Der Schriftsteller Anthony Burgess, der in der Moss Side aufgewachsen ist, bezeichnet die Gegend als „karibischen Slum“. Doch mehr als 60 Prozent der 14.500 Einwohnerinnen und Einwohner sind weiß.

Das Viertel hat Drogenhändler angezogen, die ihre Reviere mit Waffengewalt verteidigen. Nachts kommt es des öfteren zu Feuergefechten zwischen „Dodies“ und „Goochies“ – das sind organisierte Banden aus Gooch Close und Dodington Close am Alexandra Park. „Die Moss Side ist in ganz England berüchtigt“, sagt Rösler. Laut Umfragen leben fast zwei Drittel in ständiger Angst vor Einbrüchen oder Überfällen, ein weiteres Fünftel ist zumindest besorgt. Mehr als ein Drittel der örtlichen Bevölkerung traut sich bei Dunkelheit nicht mehr auf die Straße. Viele wollen aus dem Viertel wegziehen, wie zahlreiche Maklerschilder an den Häusern beweisen. Doch wer einmal hier gelandet ist, schafft den Absprung nur schwer.

Rösler wohnt nicht in der Moss Side, und das kann man ihm nicht verdenken. „Es gibt sehr schöne Flecken hier. Im Süden, wo es grün ist, kann man super wohnen.“ Was das Wetter betrifft, scheine Manchester jedoch der ungünstigste Ort in England zu sein. Zu den Fans im Viertel besteht kein besonderer Kontakt. „Die Leute kommen manchmal zum Training und bitten um Autogramme“, sagt er, „aber die City-Fans kommen ja nicht nur aus der Moss Side, sondern aus ganz Manchester.“ Bei dem Ortsrivalen Manchester United, der im Vorort Trafford zu Hause ist, sei das anders: „Da fliegen die Fans aus London und Dublin, ja sogar aus Norwegen und Rußland zu jedem Spiel ein.“ – Wenn Rösler nicht das schlechte Jahr in Nürnberg gehabt hätte, wo er wegen zwei Platzverweisen längere Zeit gesperrt war, und sich danach in Dresden nicht so schwer verletzt hätte, wäre er wohl heute nicht in Manchester. „Aber es war schon als Kind mein Traum, einmal in England Fußball zu spielen“, versichert er. „Allerdings nicht schon mit 25, sondern erst ein bißchen später.“ Informationen über den englischen Fußball bezog er aus der DDR-Sportpresse, die ausführlich über die englische Liga berichtete. „Und dann waren da auch ab und zu die Europapokalspiele, die im Fernsehen übertragen wurden“, sagt Rösler. Mit zwölf bekam er eine Tonbandaufnahme vom FC Liverpool: „Eine halbe Stunde nur Gesänge, am Spieltag aufgenommen. Das war sowas von beeindruckend. You'll never walk alone – daran kann ich mich noch genau erinnern.“

Ein Garant für die Atmosphäre ist die Bauweise der Stadien: Die meisten sind reine Fußballarenen ohne Aschenbahn. „Du bist viel näher am Geschehen dran“, sagt Rösler, „ganz anders als in Deutschland.“ Das Stadion an der Maine Road erhält gerade eine riesige neue Tribüne. Danach wird das Stadion 38.000 Zuschauerinnen und Zuschauer fassen. In dem Meer von blauen Plastiksitzen bilden einige weiße Sitze in großen Lettern den Namen des Vereins. An der Längsseite unter dem Dach liegen in einer Doppelreihe rund 50 verglaste Kabinen, die von Firmen für die ganze Saison gemietet werden.

Im Gang unter der Haupttribüne ist ein Schalter von Ladbrokes Wettbüro, wo man nicht nur auf das Spielergebnis wetten kann, sondern auch auf den ersten Torschützen. Mit einer Quote von 11:2 ist Rösler Favorit. Neben dem Wettbüro liegt ein kleiner Erfrischungsstand, die „Bert-Trautmann- Bar“. Der deutsche Torhüter, der als Kriegsgefangener nach England kam und im Pokalfinale 1956 – Manchester City gewann 3:1 gegen Birmingham – mit gebrochenem Halswirbel spielte, ist in England eine Fußball- Legende. „Trautmann ist ein großer Schatten“, sagt Rösler, „da muß man erst mal raustreten. Ich glaube, in dieser Saison ist mir das gelungen.“

Anfangs hatte er vor allem mit der Sprache Probleme, weil er in der Schule nur Russisch gelernt hatte. „Wir hatten in der letzten Saison zwei Holländer in der Mannschaft, die deutsch sprachen und bei Gesprächen mit dem Trainer übersetzt haben“, sagt er. Die Umstellung auf dem Spielfeld sei sehr groß gewesen, in England werde ein ganz anderer Fußball gespielt. „Die Zuschauer wollen nur Action sehen, das Tempo ist unheimlich hoch. Dabei passieren natürlich auch mehr Fehler, aber als Stürmer hat man den Vorteil, daß alle offensiv spielen. Jeder Ball wird irgendwie in den Strafraum gebracht.“ Für Maurizio Gaudino, der Anfang des Jahres an Manchester City ausgeliehen wurde, sei die Umstellung viel größer gewesen, weil in Deutschland das Spiel im Mittelfeld mehr von Taktik bestimmt ist – Ball halten und auf eine Chance warten. Außerdem, meint Rösler, geht es auf dem Spielfeld fairer zu als in Deutschland: „Es wird nicht gespuckt oder hinter dem Rücken des Schiedsrichters mit dem Ellenbogen geschlagen, die Spieler beleidigen sich nicht gegenseitig, was in Deutschland alles gang und gäbe ist.“

Und auch das Publikum ist gesitteter: „Hier sind Fußballtage noch Festtage, die Leute sind positiver eingestellt. Sie freuen sich, wenn die Mannschaft alles gibt. Dann kann sie auch mal verlieren.“

In der vergangenen Saison dichteten die Fans zu einem alten Volkslied einen neuen Text: „Wer hat Old Trafford bombardiert? Uwes Opa!“ Das Lied bezog sich auf den Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Luftwaffe das Stadion des Lokalrivalen in Schutt und Asche legte. Manchester United mußte seine Spiele dann lange Zeit an der Maine Road austragen. Inzwischen gibt es T-Shirts mit dem Aufdruck: „Uwes Opa hat mein Haus bombardiert.“ Mindestens fünftausend Stück sind davon verkauft worden. „Das ist eben der britische Humor“, sagt Rösler diplomatisch.

Mit der britischen Gastfreundschaft hat er gleich am ersten Tag Bekanntschaft gemacht: „Die Mitspieler haben mich sofort sehr freundlich aufgenommen, mich nach Hause eingeladen, was ich gar nicht erwartet hatte. Vom deutschen Fußball wußten sie allerdings nichts, sie kannten gerade mal Matthäus, Illgner und Klinsmann, vielleicht noch Völler. Das war's.“ Als Rösler an einem Montag abend im Februar 1994 in Manchester ankam, war es das erste Mal, das er englischen Boden betrat. Er wurde im Rolls-Royce zum Hotel gebracht, trainierte am nächsten Morgen ein bißchen und stand am Abend schon auf dem Spielfeld. Dank seiner Tore entging Manchester in der vergangenen Saison dem Abstieg. Zur Belohnung bekam er einen Dreijahresvertrag, was sich für den Verein bereits bezahlt gemacht hat: Rösler hat erheblichen Anteil daran, daß Manchester City morgen zum letzten Saisonspiel ohne Abstiegssorgen antreten kann.

„Ich fühle mich sehr wohl in Manchester“, sagt er. Vor allem genießt er die Freiheit, die der Verein ihm läßt: „Es ist alles ein bißchen einfacher, beim Training lautet die Devise: Geh auf den Platz und hab Spaß. Es gibt keine Massagen, das Essen wird nicht vorgeschrieben. Jeder ist für seine Leistung selbst verantwortlich. Wenn du die nicht bringst, dann spielst du nicht, bekommst kein Geld und keinen neuen Vertrag.“

Wenn sein Vertrag ausläuft, möchte er zurück nach Deutschland: „Es reizt mich, ich will es noch mal wissen. Jetzt habe ich auch genügend Selbstvertrauen – nicht jeder deutsche Spieler macht in England mehr als 20 Tore in einer Saison. Auf dem Niveau kann ich vielleicht noch vier Jahre spielen. Aber ich brauche eine Mannschaft, in die ich als Typ hineinpasse.“ Borussia Mönchengladbach wäre zum Beispiel so ein Team, glaubt er. Es gab bereits Anfragen von einem Bundesligaverein, doch Manchesters Präsident Francis Lee lehnte ab: Rösler ist zur Zeit unverkäuflich.

Lee war es auch, der Rösler für die deutsche Nationalmannschaft empfohlen hat. Vor zwei Wochen rief Bundestrainer Berti Vogts an. „Ich habe mich riesig gefreut“, sagt Rösler, „er hat mich auf seinem Zettel und will in der nächsten Saison mal vorbeikommen.“ Was würde er beruflich machen, wenn er nicht Profifußballer geworden wäre? „Nichts. Für mich gab es immer nur Fußball.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen