Körper gehen kaputt

Erstmals auf deutsch: Robert Beck alias Iceberg Slim, mythologisierter schwarzer Pimp/Zuhälter aus den Siebzigern. In „Todesfluch“ schaut ein großer alter Mann aus dem Rotlichtmilieu zurück  ■ Von Diedrich Diederichsen

„Iceberg Slim hat für den Pimp geleistet, was Jean Genet für den Homosexuellen und den Dieb geleistet hat“ – das alte Washington Post-Zitat prangt auf der Rückseite der ersten deutschen Übersetzung ebenso wie seit Jahren auf den in Millionenauflagen verbreiteten amerikanischen Taschenbuchausgaben, die in den Newsstands der schmutzigsten und drogenverseuchtesten Ecken Hollywoods stapelweise neben der Kasse liegen. Ja, Genet war schwul, inwieweit er wirklich ein professioneller Krimineller war und inwieweit er die Legende selbst angeheizt hat, ist Gegenstand von Romanistenstreits. Was die beiden sonst gemeinsam haben, bleibt das Geheimnis vergilbter Spalten der Washington Post. Und haben nicht auch andere Autoren den Beruf ausgeübt, über den sie geschrieben haben, etwa Franz Beckenbauer, Hanns Joachim Friedrichs und Ernst Jünger (... er tat für den Gefreiten, was Genet ...)? Oder ist da etwas anderes, das die Post geahnt hat und nicht formulieren konnte. Etwas, das den Verlegern gefällt und wo trotzdem was dran ist?

Iceberg Slim war, bevor er Autor wurde, also selber ein Pimp. Einer jener nicht erst seit den Siebzigern, als sogar Tom Wolfe vom Pimp-Style schwärmte, glorifizierten und mythologisierten schwarzen Zuhälter, die Lou Reed so sexualneidisch (wie vielleicht selbstironisch) singen ließen: „I just want to have a stable of foxy little whores. Yeah, yeah, I wanna be black.“ Und wie andere große, geläuterte Gangster der afroamerikanischen Geschichte und der dazugehörigen Mythologie, vom echten Malcolm bis zu den Romanfiguren Ralph Ellisons, konvertierte er Ende der Sechziger seine Autobiographie („Pimp“) schreibend, teilweise im Gefängnis, zum geläuterten, aber politisierten Autoren.

Ghetto-Lifestyle

Iceberg Slim wurde wiederentdeckt, weil der Rapper Ice-T mehrfach erklärte, er habe nicht nur seinen Spitznamen den in der Schule immer wieder vor den Classmates reproduzierten Iceberg-Slim-Geschichten zu verdanken, sondern auch seine Gabe für realistisch- drastischen Ghetto-Realismus habe sich durch das Studium von Robert Beck (Slims bürgerliche Identität und später auch Autor- Name) entwickelt. Seitdem sind Erwähnungen von Iceberg Slim in einer Frequenz mit dem Hinweis auf Rap-Vorläuferschaft gepflastert, die nur noch von Last-Poets- Platten übertroffen wird.

Was ein Romancier und ein Rapper gemeinsam haben sollen außer einer vagen thematischen Kongruenz („Bitch“), lassen die Konstrukteure solcher Genealogien natürlich im dunkeln. Zwar gilt speziell für Ice-T, daß er mehr als andere Gangsta-Rapper an einer fast schon postmodern-distanzierten Beschwörung eines stark stilisierten 70er-Ghetto-Lifestyle interessiert ist als an einem planen Realismus oder an afrozentrischer Ideologie – wofür er neben unzähligen Filmen von der Figurenwelt Iceberg Slims inspiriert gewesen sein mag. Das waren dann aber eher Slims Rüschenhemden als der Ghetto-Genet, und abgesehen davon steht Ice-T mit dieser erfrischend sekundaristischen Auffassung von Rap als Pop-Style innerhalb der ansonsten eher authentizistischen Community ziemlich allein. Vor allem aber übersehen solche Ahnenreihen, daß die Gemeinsamkeiten von HipHop mit irgendwelchen „Vorläufern“ nur deswegen so auffallen, weil der Teil afroamerikanischer Großstadtkultur, für den HipHop steht, früher von den Medien und ihren Verwaltern völlig ausgeblendet wurde, so daß wenige formale Ähnlichkeiten bei früheren Phänomenen ausreichen, um von HipHop aus, als dem „Ziel der Geschichte“, Vorläufer auch dort zu sichten, wo die Unterschiede wichtiger sein mögen: „Ghetto-interne“ Kulturprodukte, von den Büchern Iceberg Slims bis zu den Comedy-Platten Rudy Ray Moores (auf die sich Ice-T ja auch bezieht), waren in ihrer Zeit kein großer Markt, sondern, wie auch HipHop in den Anfangstagen, in den Händen weniger black-owned Klitschen ohne Archive und Back- Katalog-Verwaltung. HipHop ist der erste Fall von nicht nach außen orientierter afroamerikanischer Kultur, der auch ohne Crossover- Strategien zum Crossover wurde. Auf „Pimp“ (1967) folgten in der produktiven Phase Ende der Sechziger drei auf Recherchen und persönlichen Erlebnissen beruhende Romane sowie ein Essay-und-Vermischtes-Band („The Naked Soul Of Iceberg Slim“, 1971).

Post-Soul-Kultur

Nach einer Pause von sechs Jahren erscheint erst der „Death Wish“ und kurz darauf noch ein Kurzgeschichtenband. Die verbleibenden 13 Jahre bis zu seinem Tod schweigt Robert Beck. Als Ice-T ihn davon unterrichtet, daß er seinen Namen in einem Plattentitel verwendet hat, freut er sich väterlich, daß jemand die Fackel weiterträgt. Schon in „The Naked Soul ...“ gefällt er sich in einem väterlichen, von der wiederholten Anrede „Brother“ durchrhythmisierten Sermon an einen jungen Viet- Vet in der Rolle des eigentlich schon abgetretenen Vertreters einer vergangenen Generation, der nur noch helfen kann, der stärkeren, vielversprechenden nächsten Generation Afroamerikas Ratschläge zu geben, wenn er gebraucht wird. Seine politische Wende in den späten 60ern zum – von deren Seite nicht allzu geliebten – Black-Panther-Unterstützer gibt er demütig zu Protokoll: er könne diesen prinzipiell höherwertigen Vertretern schwarzen Mannestums nichts entgegensetzen und sei froh, ein wenig schreiben zu können.

Iceberg Slims Erfolg fällt in die frühen 70er, die Jahrzehntwende, die der Historiker schwarzer Populärkultur Nelson George den Beginn der „Post-Soul-Kultur“ nennt. An diesem Punkt sei sowohl der Traum kollektiv erreichter politischer Umwälzungen wie auch der von der baldigen Erreichbarkeit der privaten Karriereziele – für beides hätte Soul in seiner Epoche gestanden – ausgeträumt gewesen. Aber es hätte auch keinen Weg mehr zurück gegeben: schwarzer Pragmatismus, Sozialdemokratismus, Separatismus und Sektentum, Afrozentrik und als Hintergrundentwicklung der Aufstieg einer kleinen schwarzen Mittelklasse, die Verleumdung der Arbeiterklasse und der anderen Hälfte der Mittelklasse sowie die Zerschlagung der alten Black Community – das alles seien Post- Soul-Phänomene.

An den Anfang dieser Epoche stellt er den Film „Sweet Sweetback Badasssss Song“ von Melvin Van Peebles. Bekannter sind die auch hierzulande von jungen Acid- Jazz-Fans kultig gefundenen, deutlich unpolitischeren, aber ähnlich illusionslosen Blackxploitation- Filme (von „Superfly“, „Shaft“ und „Cotton Comes To Harlem“ bis „Blackula“: die Übertragung konventioneller Hollywood-Plots auf schwarze Themen). Doch die Filme, Opern, Musicals und Soundtracks von Van Peebles, die Prosa von Iceberg Slim, das Singspiel „Hustler's Convention“ des unter dem Pseudonym Lightnin' Rod Pimp-Texte verfassenden Last-Poets-Mitglied Jalal Naruddin Mansur stehen mit den besseren der Blackxploitation-Filme gemeinsam für eine Phase, wo ein verunsicherter schwarzer Kulturnationalismus und enttäuschte politische Hoffnungen sich zu einem illusionslosen Ghetto-Realismus zusammenfanden, der nur zu oft tragikomische Formen annahm. Bezeichnenderweise gab es damals auch eine Schwemme von neuen Komikern in Film, Funk und auf Platte.

Folklore-Reste

Im Zentrum dieser Kultur stand weder die Weltrevolution noch die große schwarze Vergangenheit in Afrika und die Verheißungen des Islam, sondern eine Mischung aus südlichen Folkloreresten, Ghetto- Legenden und -Mythen, Geschichten vom alltäglichen Rassismus und seiner listigen und heroischen Bekämpfung, aktuelle Hipster- Tendenzen und die Milieus von Pimps und Bitches. Unter den Komikern gab es jetzt mehr Frauen, mehr Offenheit und ein generelles, angenehm dekadentes Swingertum. Ein bunter und brisanter Eklektizismus, der zwar in den meisten Fällen von kulturindustriellen Rahmenbedingungen auf ein paar Stereotypen gebracht wurde; aber in den Filmen und vor allem Soundtracks von Van Peebles (dessen Sohn Mario – damals noch mit Kinderzeichnungen an Covern beteiligt – heute unter anderen mit Ice-T Filme dreht und gerade mit einem Black-Panther-Streifen in die US-Kinos kommt) und „Hustler's Convention“ ist dieses burlesk-satirische, volkstümlich-kritische Genre noch zu erkennen, das Sprachen, Darstellungsformen und Kunstgattungen mischt, die schließlich auch im HipHop wieder zusammenkommen. Gerade bei den hörspielartigen CDs, wie sie DeLa Soul einführten und die unterbewerteten KMD zur Meisterschaft brachten, wo es teilweise sogar durchgehaltene Charaktere in komplizierten Plots gibt.

Als Iceberg Slim versuchte, diese Sprachmischung und Ghetto-Figuren-Vielfalt in einen konventionell-fiktiven Thriller zu integrieren, war die Post-Soul-Culture eigentlich schon in die zweite Phase getreten und die – bei aller Bitterkeit stets zu spürende – Gemütlichkeit der frühen 70er vorbei. Crack begann die Inner Cities zu verwüsten, die Reagan-Ära

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Fortsetzung

klopfte an, und mit HipHop befand sich eine Kunstform erst in den Kinderschuhen, die die um 1979 total ausgebildeten „schwarzen Themen“ wieder in die amerikanische Öffentlichkeit zurückbringen würde.

In „Todesfluch“ ist der schwarze Widerstand auf den Kampf gegen die Mafia geschrumpft (bei den Dimensionen, in denen hier Mafia und schwarze Gegenmafia dargestellt werden, kann man auch sagen: gewachsen).

Die flachen Psychologien der jeweils fanatisch machtgeilen Führer Collucio und Tit-for-Tat Taylor spiegeln sich, ebenso ihre jeweils zu Mäßigung und Umkehr aufrufenden Frauen. Beide haben je einen väterlich-weisen und diverse speichelleckende und/oder in den Rücken fallende Sidekicks. Und nachdem das Gros des Personals und einige Gliedmaßen der Hauptfiguren bereits in der Morgue gelandet ist, machen sich ihre Restkörper im nach all dem verschossenen Pulver relativ unspektakulären Finale gegenseitig nieder.

Hirn und Blut

Die Aufeinander-Bezogenheit von schwarzem Ghetto und italienischer Mafia ist ein beliebter Topos schwarzer Thriller, bekannt von Chester Himes und Donald Goines bis zu Spike Lee: Die einst in ihrer Heimat und dann auch in den USA zunächst verachteten Sizilianer treffen auf die Minderheit, die auf der sozialen Stufenleiter noch unter ihnen steht. Außer dem didaktischen Beharren auf Parallelitäten gibt dieses Szenario nicht viel her. Ebensowenig interessiert der mit endlosen Rückblenden auch keine besondere Tiefe erreichende Plot um die zwei männlichen Helden. Das ist alles arrangiert wie 08/15 plus Creative-Writing-Unterricht. Bald wird auch klar, daß dieser Plot allenfalls ein lockeres Gerüst zur Verfügung stellt. Man bleibt aus anderen Gründen dran.

Denn interessant wird der Autor Beck durch eine andere Begabung: das genüßlich-verlangsamende Schildern besonderer Momente und Zuspitzungen. Natürlich sind dies meist Momente von Sex und/oder Gewalt, aber es können auch Stimmungen, Strukturen und Straßenecken sein. Wann immer sein zeitlupenartiger Blick ihn Ereignisse aus den öde dahinziehenden Rachephantasien isolieren läßt, erreicht das Buch jene Durchbrüche von Brillanz und bildhaft klarer Abruptheit, die Qualität, die seinen Verfasser zum meistgelesenen afroamerikanischen Autor hat werden lassen: „T. sprintete aus dem Schatten auf den Killer zu. Als er nur noch einen Meter von ihm entfernt war, knackte eine Erdnußschale unter seinem Fuß. Das Gesicht des Killers drehte sich nach dem Geräusch, seltsam kindlich, die Augen groß und unschuldig. Er schwang die Maschinenpistole herum. T. stürzte vor und stieß dem Killer den explodierenden Doppellauf an die Stirn. Der Abzugfinger des Killers an der Maschinenpistole verkrampfte sich, und ratternd spuckten Kugeln in die Decke. Die flammende Detonation der Stahlkugelladung hatte Gesicht und Kopf des Killers wie einen angestochenen Ballon platzen lassen. Ein Konfettiregen aus Hirn und Blut besudelte den Spiegel hinter der Bar.“ Auch wenn einschlägige KommentatorInnen das mal wieder „menschenfeindlich“ finden werden, es ist einfach schön geschrieben. Solche momentanen Zuspitzungen gesteigerter Intensität, die einigermaßen geschickt über den Roman verteilten, durch Schilderungen menschlicher Brutalität und Vergänglichkeit herausgestellten Tempowechsel und poetischen Einbrüche ins narrative Einerlei sind das Rückgrat des Romans, bilden seine Stimmung und seine ziemlich desperate Message.

Die reine Aktion

Freilich ist das nicht die „ungefilterte Sprache des Ghettos“, wie es in dem ansonsten informativen Nachwort heißt, sondern eine hochgezüchtete, konventionell-literarische Präzision, die ein, zwei Hemmungen überwindet (die heute eh keiner mehr hat), aber ganz offensichtlich an ihrer eigenen Künstlichkeit ihre versonnene Freude hat. Je länger der Roman, desto ausführlicher und bizarrer die Hinrichtungen, desto drastischer die Sex-Szenen. Wie man auch auf Iceberg Slims auf dem Höhepunkt der Sprechplatten- Mode der 70er aufgenommen und jüngst wiederveröffentlichten Platte „Reflections“ hören kann, liebt er weniger den ichbezogen aggressiven Rap als das zurückgelehnte Memorieren ausgetüftelt formulierten Sprachgeorgels. Wenn Rap, wie wir ihn kennen, einem Schlagzeug ähnlich ist, entspricht Icebergs Flow eher einer gephaseten Hammond-Orgel.

Was Iceberg von den meisten Rappern darüber hinaus unterscheidet, ist das Signifyin(g): das auf der Sprachoberfläche virtuos bits and pieces auseinanderlösende Surfen und Spielen mit der Sprachgestalt, das Mißtrauen gegenüber der Signifikation des Englischen, der Jive, der sich eher in oralen Situationen im Alltag erhalten und in sekundär oralen Speichermedien wie TV und LP erhalten konnte. Beck flicht zwar hier und dort etwas Jive ein, hat aber ansonsten ein großes Vertrauen ins schriftliche Englisch und dessen Möglichkeiten, kinematographische Bilder herzustellen. Er glaubt an die Signifikat-Signifikant-Beziehung wie ein Dokumentarfilmer an seine Kamera. Und seinen Reimen auf „Reflections“ hört man an, daß sie – ebenso wie die von Lightnin' Rod und anderen – durch die Verschriftlichungsschleuse gegangen sind, bevor sie aufgeführt wurden (und nicht wie – zumindest für lange Zeit – die meisten Raps erst nachträglich aufgeschrieben wurden). Das einzige, was Iceberg ganz offensichtlich im Wege steht, sind dumpfe Plots und die Lektionen in Psychologie: Die reine Aktion liegt ihm deutlich mehr.

Und das ist dann wiederum eine Gemeinsamkeit: das Schildern der Aktionen und die damit oft verbundene Geste des Aufplusterns und Angebens teilt er schon mit manchem Rapper, jedenfalls mit den narrativ veranlagteren (von denen es ja auch immer weniger gibt). Playing the Dozens ist – wenn auch in „Todesfluch“ literarisch sublimiert – eindeutig sein Spiel. Und wenn es nicht um Waffen geht, geht es um Bitches. Und wie immer, wenn ein großer alter Mann aus dem Rotlichtmilieu zurückblickt, ist sein Blick auf „die Frauen“ von einerseits großem, geläutertem Bedauern über die Bosheit und Brutalität des Mannes und andererseits dem Anspruch auf absolute Kameradschaft des anderen Geschlechts geprägt. Das kann etwas unangenehm werden: wenn Voodoo-Priesterinnen in Chicago einen Hund mit Hilfe von benutzten Monatsbinden zu verführen versuchen und Vaginalsekrete Männer automatisch verblöden (von der üblichen Darstellung von Frauen als gefühlsbestimmte entweder Schwächlinge oder bessere Menschen abgesehen).

Naked Souls

Das bräuchte einen so wenig zu stören wie bei manchen Raps, wo man versuchen kann, nicht so genau hinzuhören, wenn der Rest einem etwas zu bieten hat, das einem gefällt (zumal die meisten Rapper misogyner sind als der alte Iceberg). Doch auch hier führt das ansonsten äußerst informative und untadelige Nachwort vor, wie solche Schilderungen auch bei anti- rassistischen linksradikalen Zeitgenossen hierzulande dazu beitragen, „Wahrheiten“ über schwarze Frauen zu erfahren und anschließend zu verbreiten: „Von den unterschwelligen Bestrafungswünschen der schwarzen Frauen über die verhängnisvolle Präferenz hellerer Hautschattierungen unter den Afroamerikanern bis zur selbstverleugnenden Anfälligkeit schwarzer Männer für die oft allzu bereitwillig dargebotenen Reize der weißen Frau analysiert (sic!) er – ganz zu Schweigen von den pervertierten Bedürfnissen der Weißen beiderlei Geschlechts – so ziemlich jede Deformation, die Sklaverei und Unterdrückung hinterlassen haben ...“ Nein, das tut er nicht. Dieses Sammelsurium aus unterschwellig (!) masochistischen Negerinnen, Kaukasier-Schlampen, die auf schwarze Schwänze stehen (was sie nicht sollten: „allzu bereitwillig“), und Negern, die rassisch fremdgehen („selbstverleugnend“), bis zu Perversen, die allerdings nichts dafür können, daß sie nicht die richtigen Bedürfnisse haben, weil Sklaverei und Unterdrückung sie so gemacht haben, nein, das kann man Iceberg Slim nicht anhängen. Er glaubt allenfalls an trügerische Evidenzen des Geschlechts und läßt ansonsten jedem Tierchen sein Pläsierchen (wie ja in seiner Zeit in zum Beispiel der afroamerikanischen Comedy-Kultur mehr Toleranz gegenüber Schwulen, Transvestiten verbreitet war und Frauen häufiger zu Wort kamen als seitdem). Er verbreitet keinen Unsinn über prinzipielle Masochismen schwarzer Frauen und hat keine Probleme mit „interracial couples“. Und die Widerstands- und Drogenbekämpfungstruppe um Taylor ist, wie er immer wieder betont, „gemischt“. Iceberg Slim interessiert sich für extreme Zustände menschlicher Körper: sexuelle, aggressive, transitorische (unter anderem vom Leben zum Tode). Aber als Körperpolitiker ist er eher unreflektiert, theorielos, legt relativ unmittelbar Zeugnis ab. Das beeindruckt uns so, wie ihn seine aus Phantasien und Gesehenem zusammengesetzten Bilder erkennbar selber beeindruckt haben.

Testimony

Darin ist er Genet dann tatsächlich entfernt verwandt: Er beherrscht die Schilderung der Grenzen und Ränder von Körperlichkeit (Sex und Tod), aber er verfolgt kein eindeutiges darüber hinaus gehendes Ziel. Er ist zu verwickelt, um Stellung zu beziehen, um aus diesem Eintopf aus Blut und Körpersäften aufzutauchen und distanziert zu „analysieren“.

Wer solche „Analysen“ versucht zu finden, tappt in die Fettnäpfchen der heißen, ungeklärten Körperkämpfe (Rassismus/Sexismus), die hier ausgetragen und/ oder angedeutet werden. Wenn Iceberg Slim auch noch ein linker Revolteur sein soll, so wird das in „Pimp“, das der Maas-Verlag als nächstes herausbringen will, hoffentlich genauso hervorragend übersetzt, wahrscheinlich deutlicher; ganz bestimmt aber in „The Naked Soul of Iceberg Slim“.

Iceberg Slim: „Todesfluch“. Aus dem Amerikanischen von Almuth Carstens. Maas Verlag 1995, 238 Seiten, 25 DM