■ Ozon trifft Leute, die sich was leisten können: Bumerang für Eigenheimer
Der Regierung wird es nicht gelingen, das Ozonproblem auszusitzen. Die Voraussetzung für eine umweltgerechtere Verkehrspolitik war nie so günstig wie heute. Denn Ozon hat, im Gegensatz zu den anderen Schadstoffen aus den Auspuffrohren, eine ungewöhnliche Eigenschaft: Es macht vor allem die Leute krank, die fernab von Hauptverkehrsstraßen wohnen. Wer hingegen neben der Elbtunneleinfahrt lebt, hat dieses Problem zumindest nicht.
Damit bekommen zum ersten Mal diejenigen die Umweltverpestung am meisten zu spüren, die aufs Land gezogen sind, um ihre Kleinen vor der Großstadtluft zu bewahren. Ohne Bedenken nahmen sie bisher in Kauf, jeden Tag zur Arbeit ins Zentrum zu pendeln – und die Kinder weniger betuchter Menschen an den Einfallstraßen mit krebserregendem Benzol einzunebeln. Jetzt aber ist die Situation eine ganz andere. Was Papi morgens mit dem dicken Auto in die Luft pustet, bekommen Tochter und Sohn am Nachmittag als Hals- und Kopfschmerzen zu spüren. Und, schlimmer noch: Wissenschaftler schließen nicht mehr aus, daß Ozon krebserregend ist. Wer aber will für einen Tumor beim eigenen Nachwuchs die Verantwortung übernehmen?
Weil die Verursacher bei Ozon selbst einen Großteil des Schadens haben, dürfte die Bereitschaft zu Verhaltensänderungen relativ hoch sein. Die Eigenheimer am Stadtrand werden entschieden politische Maßnahmen verlangen – Maßnahmen, die tatsächlich Abhilfe schaffen und sich nicht in Aktionismus erschöpfen. Und weil sie, im Gegensatz zu den Bewohnern von Mietskasernen an Autobahnen und Schnellstraßen, viele reiche und einflußreiche Leute in ihren Reihen haben, wird ihr Lamento in Bonn auch auf offene Ohren stoßen.
Die Bundesregierung wird gezwungen sein, mehr zu präsentieren als Saugrüssel an Zapfsäulen und eine Ozonverordnung, die für jeden Autofahrer eine Ausnahmegenehmigung vorsieht. Noch versuchen vor allem Wirtschaftsminister Günter Rexrodt und Verkehrsminister Matthias Wissmann, eine schnelle Regelung zu torpedieren. Mit dem anachronistischen Argument, ohne ständig wachsenden Verkehr sei der Wirtschaftsstandort Deutschland verloren, plädieren sie für eine Perspektive der sechziger Jahre.
Aber auch die Sozialdemokraten müssen umdenken, wenn ihr rot-grünes Erneuerungsimage glaubhaft werden soll. Die von mehreren SPD-Landesregierungen erlassene Geschwindigkeitsbeschränkung bei 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft ist kaum mehr als Aktionismus. Nur eine dauerhafte Drosselung des Verkehrstempos kann wirklich zu einer Senkung der Ozonkonzentration beitragen.
Die SPD wäre deshalb gut beraten, jetzt die allgemeine Tempolimit-Diskussion wieder aufzunehmen, die Rudolf Scharping im letzten Jahr in der Hoffnung auf eine Große Koalition in Bonn ad acta gelegt hatte. Damit hätten sie die Chance, endlich einmal wieder der Regierung ein Thema aufzuzwingen, das längerfristig sowieso akut wird. Annette Jensen
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