: „Den Mauerfall am Bildschirm erlebt“
■ Bremer Jugendliche befragten Hans Modrow
„Die Veranstaltungen zum 8. Mai dürfen nicht zum Ritual verkommen“. Für Pastor Hans-Günter Sanders ist die Beschäftigung mit Schuld und Unschuld in der deutschen Geschichte eine „zutiefst kirchliche Angelegenheit“. Zur Talk-Runde in der Ziongemeinde konnte am Mittwochabend Hans Modrow begrüßt werden. Der „Hoffnungsträger aus Dresden“, vorletzter Ministerpräsident der DDR, stellte sich den Fragen drei junger Moderatorinnen. Für Meike Bündemann, Larissa Vetters und Lea Sanders sind als heute 18jährige die Ereignisse des Novembers 1989 genauso Geschichte, wie der 8. Mai vor 50 Jahren.
Modrow war ihr Interviewpartner für zwei historische Wendepunkte deutscher Politik, wobei er im ersten Kapitel rhetorisch geschult sein Programm abspulte, aber im Rückblick auf das Scheitern des „Arbeiter- und Bauernstaates“ gequält wirkte.
Beinahe wäre Modrow schon 1949 ein Wessie geworden. Die „sowjetischen Freunde“ hatte er nur mit einer falschen Heimatadresse in Mecklenburg überlistet und sich nach der Kaderausbildung in die SBZ verbringen lassen.
Hans-Dieter Mendel, Gemeindemitglied und selbst Zeitzeuge konfrontierte den SED-Politiker mit den Verbrechen der Ulbricht-Clique, die seinen Vater in Sachsenhausen umbrachten. Mendel selbst wurde nach Sibirien verbannt. „Nein, davon habe ich nichts gewußt“, Modrow mimt den Unschuldigen. In der Auseinandersetzung zweier Systeme, so der 61jährige, mag manche humanistische Forderung auf der Strecke geblieben sein. Kein Aufschrei im halb gefüllten Saal, hier hatten sich all jene versammelt, die sich selbst als Opfer des kalten Krieges im Westen verstehen. Wer Stasiverbrechen wiedergutmachen will, der muß auch die verfolgten Kommunisten in Westdeutschland entschädigen, so ein Diskussionsteilnehmer.
Am Ende der DDR hatte Modrow das Zeug zum Helden. Als Parteisekretär in Dresden suchte er den Dialog mit denjenigen, die riefen „Wir sind das Volk“. Daß er in Dresden auch die Polizei losschickte, um eine Demo niederzuknüppeln, verteidigte der ergraute Bonze: „Genscher hatte die Botschaftsfüchtlinge aus Prag durch unseren Bahnhof gelenkt.“ Eine Katastrophe galt es abzuwenden, als er den Menschen den Weg zu den Gleisen verstellen ließ.
Die Öffnung der Mauer am 9. November passierte für Modrow aus Versehen. „Ich kam aus dem ZK-Gebäude und da fragte mich einer, ob man jetzt in den Westen könne.“ Den wollte er noch für verrückt erklären und erlebte die Realität via Bildschirm im Hotelzimmer.
Heute fühlt er sich als Fremder im eigenen Land. Die deutsche Teilung, die gäbe es jetzt erst recht. Und der Kapitalismus sei genausowenig imstande, die Probleme unserer Zeit zu lösen, wie es der Sozialismus verstanden habe. An die drei jungen Frauen, die den Ex-Ministerpräsidenten höflich befragt hatten, wandte er sich mit einer Hoffnung. Es sei an der heutigen jungen Generation, „einen dritten Weg zu suchen, damit Eure Kinder noch eine Zukunft haben“. mö
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen