: Müllverbrennung geht nicht mehr in die Luft
■ In der Neuköllner Gradestraße soll eine neue Müllverbrennungsanlage entstehen / Durch das Thermoselect-Verfahren fallen keine Schwefelabgase an
Thermoselect heißt das Zauberwort, mit dem das Land Berlin seine Müllprobleme der Zukunft in den Griff zu bekommen glaubt. Eine dieser neuartigen Anlagen zur Müllumwandlung soll in der Neuköllner Gradestraße entstehen. Neuartig ist auch das Herangehen des Senats an ein solch großes Projekt. „Erstmals wird frühzeitig die Öffentlichkeit an dem Genehmigungsverfahren beteiligt“, so der Geschäftsführer der Meditation GmbH Berlin, Hartmut Gaßner, am Donnerstag während einer ersten Bürgerversammlung in Neukölln. Das im Auftrag des Senats agierende Unternehmen soll dabei das Konfliktmanagement übernehmen.
Für Thomas Kreutzer vom stadtweiten Zusammenschluß Berliner Bürgerinitiativen gegen Abfallverbrennung „Mi(e)f“ ein abgekartetes Spiel. Die Firma sei bereits bei Vermittlungsversuchen in Dresden und dem brandenburgischen Kreis Märkisch-Oderland wenig erfolgreich gewesen.
Die Anlage in der Gradestraße sei offensichtlich längst beschlossene Sache, die Meditation GmbH solle die Bürger lediglich weichklopfen. Die Hoffnung zu wecken, daß bei plausiblen Gründen gegen Neukölln über einen anderen Standort nachgedacht werde, sei bloße Taktik.
Statt von Thermoselect zu reden, wurde Umweltsenator Hassemer am Donnerstag abend von Anwohnern aufgefordert, die Sache beim Namen zu nennen. Doch ob Müllverbrennung oder nicht, ob dies die einzige Alternative für Berlin sei oder nicht, all das vermochte der Pulk von Kompetenzen, den die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz in Szene gesetzt hatte, nicht plausibel genug erklären.
Thermoselect ist der Name für eine neuartige Technologie zur Müllumwandlung, die in Italien entwickelt wurde. Da bei diesem Verfahren mit reinem Sauerstoff unter Ausschluß von Luft gearbeitet wird, würden nicht die gefürchteten Schwefelgase anfallen, sondern nur eine geringe Menge Synthesegas, das problemlos gereinigt werden könne. Im Vergleich zur Rauchgasmenge konventioneller Müllverbrennungsanlagen betrage die Menge des zu reinigenden Gases letztlich nur etwa 15 Prozent.
Der Haken an der Sache ist: Bislang gibt es noch keine Thermoselect-Anlage im großtechnischen Maßstab. Die damit verbundenen Ängste der Bürger ließen Hassemer zum Totschlagargument greifen, daß, wenn begründete Bedenken hinsichtlich der neuen Technologie bestehen, darüber geredet werden müsse, ob es dann nicht besser sei, eine herkömmliche Rostfeuerungsanlage am Standort Gradestraße zu errichten.
Das sei Erpressung, sagte Günter Haße vom Britzer Umweltforum. Der Senat müsse begreifen, daß die Stadt keine Müllverbrennung, gleich welchen Verfahrens, wolle und auch nicht brauche. Die durch Mauerzeiten bedingte Anlage in Ruhleben würde bereits ausgebaut, ein Neubau ist neben der Gradestraße auch am Blockdammweg in Karlshorst geplant. Haße warf Hassemer vor, daß dieser einer Müllmafia zuarbeite. Es gebe nicht nur Verquickungen zwischen den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) und Thermoselect.
Die Potsdamer Umwelttechnik Engineering Consult GmbH (UEC) als Anbieterin der Thermoselectanlagen ist eine gemeinsame Tochtergesellschaft der Alba AG & Co. KG und der Krone AG. Haße vermutete, daß die BSR durch das finanzschwache Land Berlin bis zum Jahr 2000 an Alba verkauft beziehungsweise privatisiert werde. Dem Umweltsenator war dies am Donnerstag abend eine Wette wert. Per Handschlag wurde sie vor den versammelten BürgerInnen besiegelt. Es geht um 100 Mark. Kathi Seefeld
Eine Diskussionsveranstaltung zur geplanten Müllverbrennungsanlage am Blockdammweg findet am Dienstag, dem 6. Juni, um 20 Uhr im Auditorium der FHS für Technik und Wirtschaft, Treskowallee 8, in Karlshorst statt.
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