■ Atommülltransport – wie's auch billiger geht!: Mit Lederschlips und Reflektorband
Wir alle erinnern uns des ersten Castor-Transportes vor wenigen Wochen. Unter immensem Aufwand und mit großzügig bemessenem Begleitschutz war damals ein Atommüll-Behälter erst per Bahn, später mittels Tieflader in Richtung Zwischenlager Gorleben verfrachtet worden. Keine ganz billige Angelegenheit, denn Fachleute beziffern die entstandenen Kosten auf 30 bis 100 Millionen Mark. Wenn aber solche Summen im Raum stehen, drängt sich notwendigerweise die Frage auf: Geht's nicht auch ein kleines bißchen billiger? So für knapp unter 400 Mark vielleicht? Was, wenn man auf einen sehr günstig gemieteten Kleinlastwagen (28 Mark pro Tag) zurückgriffe sowie auf Demonstranten und übertriebenen Polizeieinsatz verzichtete? Der Klärung dieser Fragen und anderer verschrieben sich an einem sonnigen Feiertag im Mai die Eulenspiegel-Mitarbeiter Behrend und Schiffner, und der Schreiber dieser Zeilen war wohl auch dabei.
Als wir uns mit dem sehr günstig gemieteten Kleinlastwagen (28 Mark pro Tag) auf unseren Castor- II-Transport zum stillgelegten AKW Greifswald machen, tragen wir der Einfachheit halber – und um die Bevölkerung nicht über Gebühr zu beunruhigen – weiße Arbeitskombis, signalrote Atom- Schutzhelme und selbstgebastelte Dienstausweise. Statt eines eher unhandlichen Original-Castors haben wir auf der Ladefläche hinten einen alten Redaktionstisch aufgebockt, der ob der strengen Vorschriften für Gefahrgut-Transporte in orangefarbene Folie gehüllt und mit zwei Tafeln „Castor II“ versehen wurde. Diverse Meter reflektierendes Hochsicherheitsklebeband und ein paar Atom-Warnschilder werten unseren Kleinlaster zusätzlich optisch auf beziehungsweise machen ihn dem ersten Castor quasi zum Verwechseln ähnlich. Damit wir uns nicht so allein fühlen, begleiten uns der Wirtschaftsexperte Wetzel und der Sportreporter Solenato in einer günstig gemieteten schwarzen Mercedes-Limousine. Beide Subjekte haben meines Erachtens zu viele schlechte Filme gesehen, denn sie haben sich mit ausgebeulten Jacketts, Lederschlipsen und schwarzen Sonnenbrillen versehen.
Die erste Etappe verläuft ohne Zwischenfälle, und gegen 11 Uhr treffen wir im brandenburgischen Badingen ein, wo wir uns bei Bürgermeisterin Schulze (Name nicht geändert, d. Red.) am Vortag bereits telephonisch avisiert haben. Frau Schulze, die uns bereits erwartet, tritt uns gelassen entgegen und quittiert die Durchfahrt anstandslos mit ihrem Bürgermeisterstempel. Anscheinend ist dies ihr erster Castor-Transport, denn sie ahnt wenig von unserem minutiös festgelegten Zeitplan. Vielleicht aber ist es auch ungeschriebenes Gesetz Badinger Gastfreundschaft, daß zufällig des Weges kommenden Atommüll-Kutschern sofort ein Imbiß angeboten wird: „Ich mach' Ihnen schnell 'n paar Stullen?“ – „Gern“, lassen wir uns überzeugen, „und wenn vielleicht ein Bierchen da wär'...“ Minuten später sind wir um einen Gartentisch plaziert, der sich unter der Last von Bierflaschen und äußerst appetitlichen Schnittchen biegt. Während wir spachteln und zu Frau Schulzes nicht geringem Erstaunen auch der Fahrer sich das eine oder andere Bier einverleibt, diskutieren wir mit der Bürgermeisterin freundschaftlich über die Vor- und Nachteile von Atommüll.
Die Badinger Schnittchen haben unseren Zeitplan etwas durcheinandergebracht, und so drücken wir auf den nächsten Kilometern etwas auf die Tube, ohne daß jedoch für die Zivilbevölkerung zu irgendeinem Zeitpunkt eine allzu große Gefahr besteht. An unserem zweiten Anlaufpunkt in Hammelsprung halten wir uns nur kurz auf. Bürgermeister Sackner quittiert ordnungsgemäß unsere Durchfahrt und kommentiert weise, er denke doch, daß „es im Interesse aller“ sei, daß „es“ – anscheinend meint er unseren hermetisch verpackten Tisch – „einigermaßen sicher“ sei. Nachdem wir ihm signalisiert haben, daß wir da vollkommen mit ihm übereinstimmen – „Ja. Natürlich.“ –, widmet er sich seelenruhig weiter seiner Gartenarbeit.
Wie der Zufall es will, führt uns die Route wenig später am vollbesetzten „Terrassen-Eiscafé“ in Templin vorbei. Da die Sonne brennt und die Temperatur in unseren Anzügen mittlerweile unkontrolliert ansteigt, parken wir den ganzen Atom-Konvoi direkt neben der Eisdiele und gönnen uns und den Sicherheitsleuten eine kurze Rast. Einen älteren Herrn, der offensichtlich die atomfeindlichen Anarchisten des Ortes repräsentiert – „Ist da Atommüll drin?“ – können wir gerade noch einmal beruhigen: „Ja, aber nur ein ganz kleiner!“ Das Eis ist gut, und der Aufenthalt zieht sich derart in die Länge, daß wir zu dem Schluß kommen: Jetzt kann nur noch eine Polizeieskorte, die uns den Weg freimacht, unseren Zeitplan retten. Auf dem schnellsten Wege eilen wir deshalb zum Polizeipräsidium Eberswalde. Hier erklären wir den Wachhabenden unsere Situation – „... sind spät dran, wollen zum AKW Greifswald mit diesem Behälter da“ – und haben anschließend alle Hände voll zu tun, die verstörten Beamten zu beruhigen: „Das ist absolut nichts Gefährliches ... eigentlich mehr Verpackung als Inhalt... keine nennenswerte Strahlung ... praktisch völlig harmlos“ ... Leider ist im Innenministerium an diesem Feiertag telefonisch niemand zu erreichen, der den Beamten den letzten Rest Furcht vor diesem nicht gemeldeten Castor-II-Transport nehmen könnte, aber was soll's. Der gesunde Menschenverstand der Ordnungshüter gibt den Ausschlag, und wir bekommen eine Blaulichtbegleitung durch die nächsten Dörfer bis zur Autobahn. „Von hier aus“, hatten wir erkärt, würden wir „es dann alleine schaffen“. Später, auf der Autobahn, fällt uns plötzlich siedendheiß ein, daß wir ja gar nicht nach Greifswald fahren können: Wir brauchen ja den Tisch noch! Spontan beschließen wir der blöden Posse ein Ende zu machen und kehren an der nächsten Abfahrt um. Immerhin haben wir ja bewiesen, was zu beweisen galt; Atommüll-Transporte müssen nicht teuer sein. Jedenfalls nicht, wenn der Bürger kooperiert (Schnittchen!) und der Polizeieinsatz auf vernünftige Maße (ein Begleitwagen) reduziert wird. Dann kostet das Ganze gerade mal 327,80 Mark. Unbedeutend, wenn man die Summen bedenkt, die anläßlich der Castor-I-Spedition verpulvert wurden. Und die Kollegen haben damals nicht mal ihren Tisch wiederbekommen. Martin Sonneborn
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