: Pastor unter Schlagstöcken
■ „Politik gehört nicht auf die Kanzel – oder doch?“ / Michaelisgemeinde diskutierte
Pastor Andreas Quade traute ein junges Paar, der Bräutigam ein Polizist. Der Geistliche trat anschließend mit dem Brautpaar vor die Kirche – und ging unter einem Spalier aus Schlagstöcken durch. „Was macht man da?“ fragte Andreas Quade. „Mit Paddel oder Volleybällen hätte ich keine Probleme – aber soll ich mich bei einem Polizisten plötzlich weigern? Oder bei Militärs, die in Uniform getraut werden wollen?“
Ab wann wird die Kirche politisch, ab wann machen die Kirchenvertreter politische Aussagen, sei es in der Seelsorge, in der Gemeindearbeit oder im Gottesdienst? Kann, darf, soll Kirche das? Pastor Andreas Quade, der selbst zum Thema Predigtanalyse promoviert hat, bat in seiner – „doch eher unpolitischen“ – evangelischen Michaelisgemeinde in Bremen-Mitte zur Diskussionsrunde. „Politik gehört nicht auf die Kanzel“ – „Oder doch?“ fügte die Redaktion der Bremer Kirchenzeitung in der Ankündigung eigenständig zu.
„So richtig derb warst Du da noch nicht“, bemerkte dann am Diskussionsabend eine in der Gemeinde engagierte Rentnerin in Richtung des Pastors. Ist die Predigt überhaupt die Plattform dafür, fragte Andreas Quade zurück: „Politische Predigten gehen an meiner Zielgruppe vorbei. Die sind nicht angemessen, wenn ich da den Seniorenkreis vor mir habe, und das ist fast ausschließlich so.“ – „Die Damen, die da sonntags sitzen, werden doch weniger“, meinte ein Herr aus dem Kirchenvorstand. „Bekommt man junge Leute über politische Predigten in die Kirche?“ – „Bestimmt.“ Aber wie?
Ausländerfeindlichkeit gegenüber den BewohnerInnen des Wohnheims Vietorstraße, Obdachlose, die auch schon mal auf dem Kirchenvorplatz gezeltet haben, die Verkehrsberuhigung Landwehrstraße – allerhand politische Themen liegen gleich um die Ecke in der Bremer Bahnhofsvorstadt/Utbremen: „Darauf müssen wir aufmerksam machen, da müssen wir aufklären“, begeisterte sich eine ältere Frau. „Und bitteschön nicht mit Mäßigung beginnen“, fiel ihr ein Herr ins Wort.
Heiße Eisen anfassen und im Gottesdienst nicht nur zur Andacht, Meditation und stiller Einkehr einladen – man muß eine Hürde nehmen, eine Lethargie überwinden, die sich über Jahrzehnte gefestigt hat. „Wir haben hier Wohnzimmeratmosphäre.“ Um „Angst, Mut, Veränderung, Aktivwerden, nicht Ausgrenzen“ drehte sich die Diskussion. Man möchte besonnener rangehen als die Nachbargemeinde St. Stephani, die politisch sehr aktiv, aber umstritten ist. Man möchte keinen Aktionismus anzetteln, „und ich möchte nicht der Vorturner sein“, sagte Pastor Andreas Quade.
Also keine Bekenntnisse von der Kanzel, aber Anregungen und Richtlinien wären nicht schlecht. Wenn dann die Kirche wirklich mehr sein wollte als ein Naturschutzverein oder ein Friedensclub, müsse sie einfach ihre Bibel beim Wort nehmen, fand die Rentnerin. „Wir sollten aber nicht nach dem Gebetsbuch wie nach dem Parteibuch fragen, sondern radikal sein“, rief der Herr aus dem Kirchenvorstand. „Dann erreichen wir viele Leute, und die Kirche muß die entstehenden Spannungen aushalten können.“ Woher wissen wir aber, ob wir auf dem richtigen Weg sind, fragte eine Zweiflerin. Wenn man politisch ist, kann man nicht nur diplomatisch sein, entgegnete die Runde. „Räucherstäbchen-Einlullung gibts in den Sekten genug“, meinte ein Herr. Was also werde man tun, wenn die Jugendlichen der Gemeinde gegen den Castor in Gorleben demonstrieren wollen? „Wir gehen mit“, so die Rentnerin.
Nächstes Jahr feiert die Michaelisgemeinde ihr 800-jähriges Bestehen. Die Diskussionsgruppe ging mit dem Vorsatz auseinander, bis dahin eine politisch angehauchte Gebetsstunde vorzubereiten. Nach dem Vorbild der politischen Nachtgebete, die Ende der Siebziger in Köln und Berlin ihre Blüte hatten. „Dann wollen wir mal so richtig Ärgernis erregen“, freute sich das Kirchenvorstandsmitglied. sip
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen