: Schmutzfinken streiten, Nordsee stirbt
■ Duales System für Bohrinsel strittig / Shell-Boykott beschäftigt Briefträger und Shell-Vorstand
Berlin (taz) – „Es ist fast alles strittig“, sagte gestern die Sprecherin des Bonner Umweltministeriums, Gertrud Sahler. Sämtliche Vorschläge zum Schutz der Nordsee, die ab heute auf der 4. Nordseekonferenz im dänischen Esbjerg verhandelt werden, stoßen bei einzelnen Anrainerstaaten auf heftigen Widerstand.
Die Bundesregierung unterstütze zwar den niederländischen Vorstoß, innerhalb einer Generation die Einleitung von Chemikalien in die Nordsee zu stoppen, so Sahler, doch vor allem die britische Regierung sträube sich dagegen. Diese setzt auf eine Einzelbetrachtung der verschiedenen Chemikalien, ganz im Sinne der Industrie.
Doch nicht nur die Briten verhindern mehr Nordseeschutz. Der Versuch, die Nordsee zum Sondergebiet zu erklären und eine entsprechend strenge Kontrolle bei der Einleitung von Chemikalien einzuführen, wird nach deutschen Angaben von fast allen Staaten abgelehnt. Und selbst eine Regelung, die bei der Aufstellung von Bohrinseln wie der Shell-Insel Brent Spar künftig eine Rücknahmeverpflichtung nach dem Modell des Dualen Systems vorsehen würde, sei noch nicht gesichert.
Das Überleben der Nordsee scheint also mehr als fraglich. Um so mehr, als die Staaten bis heute nicht einmal die seit der ersten Nordseekonferenz 1984 in Bremen gesteckten Ziele erreicht haben. Immer noch werden vor allem aus der Landwirtschaft jährlich über eine Million Tonnen Stickstoff in die Nordsee eingeleitet. Die Verminderung um die Hälfte, die bei der zweiten Nordseekonferenz 1987 in London als Ziel ausgegeben wurde, haben die Regierungen weit verfehlt. Die Lobby der Landwirtschaft und der chemischen Industrie war stärker.
Große Probleme machen nach Angaben des Umweltbundesamtes selbst Chemikalien, von denen heute weniger in die Nordsee gekippt wird. Weil viele der giftigen Substanzen nicht schnell zerfallen, steigt die Belastung beispielsweise mit Chlorverbindungen weiter.
Heftigere Wellen als bisher eingeräumt haben die geplante Versenkung der Bohrinsel Brent Spar und der Greenpeace- Boykott bei der Deutschen Shell geschlagen. „Wir haben ungefähr 450 Protestbriefe, 100 Faxe und 80 Telefonanrufe erhalten, zum guten Teil für den Vorstand“, so Hilmar Luedicke von der Shell gegenüber der taz – und das, obwohl man doch die Geschäftspolitik der verantwortlichen britischen Shell-Mutter nicht beeinflussen könne. Selbst der Betriebsrat habe auf einer Personalversammlung die Entsorgung der Bohrinsel an Land verlangt. Und mindestens vereinzelt habe es auch Kunden gegeben, die zur nächsten Tankstelle weitergefahren seien. Zahlen wollte die Shell aber nicht veröffentlichen.
Recherchen der taz ergaben, daß sich auch im Heizölgeschäft der Shell Kunden beschwert haben. „Wir hatten hier vereinzelt kritische Stimmen, ausnahmslos Kunden mit Ein- oder Zweifamilienhäusern“, so der Berliner Niederlassungsleiter Otto Preeg. Abbestellt habe aber bislang keiner.
Das hat gestern nur die Frankfurter Rundschau: Sie wollte eine Anzeige von Greenpeace zum Shell-Boykott nicht drucken. „In der Frankfurter Rundschau werden keine Anzeigen, in denen Boykott-Aufrufe enhalten sind, veröffentlicht.“ ten Tagesthema Seite 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen