: Schuld sind „Ratten“ und „Verräter“
In der pakistanischen Metropole Karachi herrscht Krieg zwischen Polizei und einer Organisation indischstämmiger Einwanderer / Er fordert mehr Opfer als der Konflikt in Kaschmir ■ Von Bernard Imhasly
Delhi (taz) – Eine Karikatur in der Tageszeitung Dawn zeigt Benazir Bhutto, wie sie das brennende Karachi mit einer Feuerwehrspritze zu löschen versucht. Doch der Schlauch ist mit einen Treibstofftank verbunden. Die Zeichnung gibt das wachsende Unverständnis vieler Einwohner dafür wieder, wie die Premierministerin die Probleme von Pakistans größter Stadt angeht.
Erst am Sonntag abend kam bei einem Anschlag unweit des Familiensitzes von Bhutto ein dreijähriges Kind ums Leben. Nach Polizeiangaben schossen unbekannte Täter aus mindestens zwei Fahrzeugen auf ein Auto, in dem sich das Kind befand. Die Eltern, ein hoher Zollbeamter und seine Frau, wurden schwer verletzt. Am gleichen Abend feuerten Unbekannte eine Rakete auf ein Wohnhaus, das gegenüber des deutschen Konsulats liegt – sie explodierte jedoch zum Glück nicht.
Früher hatte Bhutto solche Ereignisse heruntergespielt, indem sie etwa erklärte, nur in acht der 24 Polizeidistrikte der Stadt gäbe es Schwierigkeiten. Diese Äußerung ermunterte einen Kommentator zum Vergleich mit einem Arzt, der von einem Krebsgeschwür sagt, es befinde sich nur in einem der vielen Organe.
Seitdem die Anzahl der in Karachi getöteten Menschen die Anzahl der Gefallenen in Kaschmir übersteigt, spricht Bhutto knapp von „Terrorismus“. Als dessen Verursacher hat sie die „Mohajir Qami Movement“ (MQM) ausgemacht, die Partei der indischen Einwanderer, die in der Zehnmillionenstadt die Bevölkerungsmehrheit bilden. Den im Londoner Exil lebenden MQM-Führer Altaf Hussain bezeichnet Bhutto als Terroristen, seine Anhänger in Pakistan werden abwechselnd als „Ratten“ oder „Verräter“ beschimpft.
Die Auseinandersetzungen in Karachi haben sich auf einen regelrechten Krieg Polizei versus MQM zugespitzt. Die Angriffsziele sind einerseits Symbole des Staates wie Polizeipatrouillen und öffentliche Gebäude, zum anderen konzentrieren sich die täglichen Polizeirazzien auf die Hochburgen der MQM. Um sie zu bekämpfen, werden die insgesamt 23.000 Polizisten in Karachi von weiteren 15.000 paramilitärischen „Rangers“ unterstützt.
Der Konflikt zwischen der Regierungspartei PPP und der MQM geht zurück in die ethnischen Wurzeln der PPP in der Provinz Sindh, deren Hauptstadt Karachi ist. Die „Mohajirs“ dagegen sind Zuwanderer aus Indien, die mit ihrem Nationalismus den Regionalismus der Sindhis provozierten und deren Arbeitsplätze gefährdeten. Hinzu kommt, daß die MQM weitgehend eine Kreation des früheren pakistanischen Militärdiktators Zia ul- Haq ist, der sie als bewaffnete Partei gegen die PPP und deren Banden angesetzt hatte.
Bewaffnete Straßenkämpfe waren in Karachi schon in den 80er Jahren die Regel. Als die MQM in den frühen 90er Jahren die Städte Karachi und Hyderabad beherrschte, rechnete sie mit ihren Gegnern durch den Gebrauch von Folterkammern und anonymen Liquidationen ab. Die folgende gnadenlose Bekämpfung der MQM durch die Armee hatte zum Resultat, daß die Mehrheit der Mohajirs – meist städtische Industriearbeiter, Angestellte aus der unteren Mittelschicht sowie viele Freiberufler – in die Arme der MQM getrieben wurde. Ende 1994 zog sich die Armee aus Karachi zurück. Seither soll ein massives Polizeiaufgebot erreichen, was den Soldaten nicht gelang. Die demographische Dichte der Mohajir-Bevölkerung, mit deren Solidarität die Killerkommandos der MQM rechnen können, macht jedoch auch für die Polizei eine „militärische“ Lösung des Problems praktisch unmöglich.
Auf der Strecke bleiben in einer solchen Situation die Menschenrechte. Seit Anfang des Jahres sind fast einhundert Polizisten durch Scharfschützen umgebracht worden. Und die Ordnungskräfte zahlen mit gleicher Münze heim. Tausende Verdächtige werden ohne Anklageerhebung in Haft gehalten. Als kürzlich ein Richter die Polizei aufforderte, vier MQM- Verdächtige vorzuführen, mußten die vier Männer in den Gerichtssaal geschleppt werden — ihre Gliedmaßen waren zertrümmert, und Auspeitschungen hatten ihre Haut in eine Masse eiternden Fleisches verwandelt.
Ein soeben erschienener Bericht von amnesty international zählt reihenweise Beispiele von Folterung und Vergewaltigung auf. Verdächtige werden monatelang in Ketten gehalten, kopfüber aufgehängt, und zu Geständnissen gezwungen. Die meisten Fälle stammen aus Gefängnissen in Karachi. Die Mehrheit der Opfer sind Menschen, die nur deshalb verdächtig sind, weil sie Mohajirs sind.
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