■ Point 'n' Click: Ein wundervoller Abend
Es war einer dieser süßen Augenblicke, die Computer-Junkies nie vergessen und die Nicht-Computer-Junkies nie verstehen werden: Die CD-ROM ins Laufwerk geschoben, die exe.-Datei angeklickt, während der Installation des neuen Programms eine Zigarette geraucht, neu gebootet..., und dann versinkt die Welt um den Rechner. Wenn man das nächste Mal auf die Zeitanzeige des Videorecorders sieht, ist es drei Uhr morgens, die Zigarettenpackung ist leer, und man hat soviel solipsistischen Spaß wie seit Wochen nicht mehr gehabt.
Mit „Circle Elements“, dem Programm, dessentwegen der Rezensent einen wundervollen Abend lang nicht mal das Telefon gehört hat, kann man Musik machen. Das geht zwar im Prinzip auch mit anderer Software, aber so simpel und so billig ist keine.
„Circle Elements“ ist absolut narrensicher. Mit diesem Programm kann jeder Depp ein eigenes Stück zusammenbasteln, ein Zustand, der bei Techno ja schon länger vorherrscht. Für die ersten Schritte muß man noch nicht einmal die „Hilfe“-Datei aufrufen. Einfach ein paarmal rumgeklickt, und ohne recht zu wissen, wie, hat man plötzlich einen Groove zusammengebastelt, der nicht viel anders klingt als der Rhythmus- Track einer beliebigen HipHop- Nummer. Schon nach kurzer Einarbeitungszeit produziert man eigene „Kompositionen“ (falls dieser Begriff hier noch zutrifft), die auf einem Rave zwischen zwei Low-spirit-Nummern nicht unangenehm auffallen würden.
Das Herzstück von „Circle Elements“ ist ein Kreis, der auf dem Bildschirm aussieht wie ein Brummkreisel von oben. Um den Mittelpunkt liegen zwei Kreise, die in verschiedene Felder unterteilt sind. In jedes dieser Felder kann man Rhythmen, Gitarrenriffs, Soundeffekte und Stimmen aus einer reichhaltigen Sound- Sammlung einfügen, und wenn man den Kreis anklickt, werden die zusammengestoppelten Soundbites nacheinander abgespielt. Mit etwas Glück und einem absoluten Minimum an musikalischem Einfühlungsvermögen passen die verschiedenen Elemente zusammen, und – bingo! – fertig ist der erste Teil eines Musikstücks.
Die Soundlibrary von „Circle Elements“ ist bemerkenswert: Säuberlich nach bpm-Geschwindigkeit sortiert, finden sich verschiedene Drum-Patterns, Gitarrenakkorde, Synthesizersounds, aber auch ganz abgefahrenes Zeug: Allein der Ausruf „Oooh“ liegt zum Mischen in vier verschiedenen Ausführungen digitalisiert vor. Um genau zu sein: Es gibt ein „Oooh“, ein „Ooah“, ein Oouh“ und ein Oohuha“.
Auf der ersten der beiden CDs (Titel „Intergalactic“), deren Sounds vor allem aus dem Bereich House und Techno stammen, finden sich viele Rhythmen und Geräusche, die man aus der Musik von Aphex Twin, The Orb oder EBM zu kennen glaubt. Selbst ein Sample von Kraftwerk, „Muzik Non-Stop“, ist vorrätig. Besonders schön sind die Dateinamen, unter denen diese Sounds abgespeichert sind: „Waver“ klingt wie eine sich öffnende Raumschleuse in „Raumschiff Enterprise“. „Impulses“ erinnert an einen Geigerzähler. „Wavechoir“ könnte aus einer Stockhausen-Symphonie geklaut sein, und bei „Floating“ gingen bei einem Teenager-Rave garantiert alle Arme in die Höhe.
Auf „Planet Earth“, der zweiten CD, finden sich eher folkloristische Klänge, und da hat man keine Mühen und Kosten gescheut: Unter dem Dateinamen „Digeroo“ finden sich seltsame Geräusche aus der Musik der australischen Aborigines. Nur ein paar Mausklicks entfernt sind Zigeunergitarren, Nonnenchöre und einige fulminante Orchesterklänge, die das Moskauer Symphonieorchester eingespielt hat. Es ist eine kleine Welt, und ihre Musik wartet nur darauf, in kleinen Häppchen über einen scheppernden House-Beat gelegt zu werden.
Jedesmal, wenn ein neues, einfach zu handhabendes Medium auf den Markt gekommen ist, haben sich einige Idealisten der Vorstellung hingegeben, daß jetzt jeder User zum gleichberechtigten Medienproduzenten werden könnte. Brecht hoffte, daß das Radio aus den Konsumenten Produzenten machen werde. Auch bei der Super-8-Kamera hofften viele, daß jetzt die Homemovie-Hitchcocks und -Godards aus dem Wohnzimmer ausbrechen würden. Und Video sollte aus seinen Benutzern Reporter für den Alltag machen.
Geschehen ist das nie. Doch auch „Circle Elements“ gibt diesen basisdemokratischen Vorstellungen neue Nahrung. Mit diesem Programm kann wirklich jeder Tanzmusik produzieren, die sich vor den sogenannten „Profis“ nicht verstecken muß. Wenn man „Circle Elements“ zum Beispiel in Schulen im Musikunterricht einsetzte, könnte man vielleicht einigen Kids die Ehrfurcht vor Techno-Stars wie Marusha oder WestBam austreiben: „Das kannst du auch“ ist die Message (und die Massage) dieses Programms – und das ist doch ziemlich emanzipatorisch. In kommenden Versionen müßte man freilich noch einige Schönheitsfehler korrigieren: Für die Arbeit mit dem „Circle“ wäre eine Drag &Drop-Funktion praktisch, mit der man einzelne Elemente direkt von einem Feld zum nächsten bewegen könnte. Und um richtige Songs zu komponieren, müßten nicht nur die Gitarrenakkorde A, C, F und G als Datei vorliegen, sondern die ganze Tonleiter.
Dann könnte man noch leichter Songs schreiben und sie an den Hersteller zurückschicken. Der sammelt nämlich zur Zeit Material, das von Computerkomponisten mit „Circle Elements“ zusammengebastelt worden ist. Das soll dann im November auf CD-ROM zur Weiterverarbeitung veröffentlicht werden. Also greif zur Tastatur, Kumpel! Irgendwie ist diese Software auch die Ankündigung einer endlosen Postmoderne, in der die gesamte popmusikalische Produktion nur noch aus Musik-die-es-schon-einmal-gab besteht. Tilman Baumgärtel
Circle Elements, zwei CD-ROM für Mac und PC (mit Windows 3.1 oder besser Soundblaster-kompatibler Soundkarte), best service, München 1995, 99 DM
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