Vorschlag

■ Im kargen Licht – Installationen im Weddinger Superkeller

Eigentlich ist ja der Wedding selbst ein Kriegsmuseum, ein Atmosphären-Reservat. Da denkt man sich die paar Neubauklötze weg, und es schaudert einen. Same as it ever was – was ein Kohlenkeller im Wedding heute ist, das war er schon vor fünfzig Jahren, schon vor hundert Jahren, und davor gab's noch keinen Wedding. Meine Nachbarin hat mir erzählt, wie sie im Krieg in dieser dunklen Feuchtigkeit gehockt haben, zwanzig Leute auf zehn Quadratmetern, und die Russen sind gekommen und haben sich einzelne Frauen rausgepickt, die dann heulend wieder zurückgekehrt sind und sich schließlich in einer als Krankenhaus umfunktionierten Schule behandeln ließen. Ein Kohlenkeller im Wedding ist Erinnerungsträger pur. Und da ist nun einer in einer typisch scheußlichen Straße Ausstellungsraum geworden. Man sollte international die Touristen dorthin leiten, durch zwei Hinterhöfe. Dann müssen sie im dritten Stock einen Schlüssel abholen und sich wundern, daß kleine türkische Mädchen da spielend rumstrolchen, daß es ihr Zuhause ist und daß sie trotzdem groß werden.

Harald Müller hat das runde Gewölbe in der Schulstraße 35 mit Soldaten bevölkert, die klein, rund und ganz niedlich sind. Aus Pappmaché sind sie, gut getarnt, und sie heben sich kaum vom Kellergewölbe ab. Acht solche Typen fliegen über den Erdboden, spähen durch Fernrohre und fotografieren. Ihre Gliedmaßen sind lebensnah ausgeformt, Körperwerkzeuge. Jetzt sehen wir von oben, was in der Kriegszeit und Nachkriegszeit immer von unten gesehen wurde, diese ewigen Tiefflieger und Luftbrückenflugzeuge ... Woanders stürzt einer ab, wird von zwei Kumpeln dabei dokumentarisch fotografiert. Noch einer (sie erinnern aber durchaus nicht an Gartenzwerge) untersucht die Ferne vor dem Fenster – der Lichtschacht hätte von Beckett erfunden sein können. Wieder ein anderer späht mit dem Fernrohr nach einem Ort, wo es tatsächlich lebendig wird: als technisches Experiment, ein bißchen physikalische Spielerei, ein ästhetischer Schimmer Neuzeit.

Eine Gießkanne läuft voll Wasser, ein Licht brennt darin, und dies Licht wird gleich mit ausgeschüttet, eine helle Schüssel glimmt davon leise, der Raum kann es wahrhaft gebrauchen. Ein anderer Soldat stiert auf ein Dia an der Wand, das ebenjene Wand als Negativ zeigt. Erleichtert erleben wir dann noch zweckentfremdete Küchenutensilien. Eier, die keine mehr sind; Quallen, die noch nie welche waren. Als Koch wäre der Künstler nicht zu gebrauchen, das wird klar. Die Eier in dem 1,50 Meter hohen Glasschacht halten sich von selbst auf unterschiedlicher Höhe im Wasser, kein Physiklehrer braucht da noch was von spezifischem Gewicht zu blubbern, wir haben's sofort kapiert. Die Quallen im nächsten Aquarium jedoch sind aus eingefärbter Gelatine, sie färben hauchdünn ab, geben klitzekleine Bläschen von sich, ein klitzekleiner Funken Schönheit, für den man im Wedding eben in den letzten aller Keller laufen muß. Sophia Ferdinand

Bis 30. 6., 15-18 Uhr und weiter nach Vereinbarung unter Telefon: 614 47 26