: Vorschlag
■ 10. Potsdamer Werkstatt-Tage im Hans Otto Theater
Neue Formen braucht das Land – und sein Theater sowieso und immer. Etliche Inszenierungen nennen sich deswegen „Körpertheater“ oder „Bewegungstheater“, aber die interessieren nicht weiter. Die 1978 gegründeten Potsdamer Werkstatt-Tage finden derzeit zum zehnten Mal im Hans Otto Theater statt, und der selbsterklärende Untertitel lautet traditionell: „Neue Texte und Formen für das Theater. Ur- und Erstaufführungen deutscher Bühnen“. Nach jeder Vorstellung gibt es ein Publikumsgespräch, später ein Konzert vor dem Theater – ein Festival. Das Programm paßt natürlich zum umfassenden Titel, ergibt sich aber auch nicht zwingend daraus. Als Vorspiel und sicher nicht ohne Stolz wurde gestern die aufsehenerregendste hauseigene Uraufführung des letzten Jahres gezeigt: der Schwab-Faust mit den Minetti-Geschwistern und Blixa Bargeld, „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“ – ein offenbar in einer Geniepause entstandener Text, den Thomas Thieme mit viel Gedöns und ohne Vision inszeniert hatte.
Das mit den „deutschen Bühnen“ wird so ernst nicht genommen, denn heute (19 Uhr) hat das sardinische Akròama mit „Der letzte Traum“ von Lelio Lecis in der Regie des Autors Premiere (Wiederholung am 1. 7.). Morgen (19 Uhr) geht's dann weiter mit einem Text, der mittlerweile schon dreimal uraufgeführt wurde, Vladimir Sorokins „Ein Monat in Dachau“. Im letzten Herbst hatte Carsten Ludwig diese grausame Vision eines Prosa-Reiseberichts, mit dem sich Sorokin von Soz-Art verabschiedete, beim Fest III in Dresden-Hellerau tatsächlich urinszeniert. Es folgten eine Performance-Fassung des Rudimentär-Theaters im Tacheles und die jetzt in Potsdam gezeigte Uraufführung durch Dimiter Gotscheff aus Düsseldorf. Wirklich fast ein Heimspiel hat dann das Berliner Stükke-Theater am Samstag (19 Uhr) mit David Greenspans „HEIMSpiele“ in Donald Berkenhoffs Regie. Am Sonntag (18 Uhr) gastiert „Der dumme Junge“, ein Projekt, das Jeremy Weller mit Jugendlichen und Schauspielern an den Münchner Kammerspielen entwickelt hat. Auch Einar Schleefs Stück „Totentrompeten“ über ganz alt gewordene, andere „Drei Schwestern“ wurde eingeladen (Montag, 19 Uhr), eine mit Graz koproduzierte Inszenierung von Ernst M. Binder aus Schwerin, die während des Theatertreffens schon im Theater am Halleschen Ufer zu sehen war. Mit „Apocalypse live“ schließlich wird ein Hörspiel vom „Einstürzende Neubauten“-Musiker FM Einheit (der auch beim Potsdamer Schwab-Faust mitklöppelte) und Andreas Ammer sichtbar gemacht (Sonntag, 22 Uhr).
Dieses Theaterfest dient übrigens einem guten Zweck. Eine Jury – bestehend aus Ulrich Eckhardt (Berliner Festspiele), Martin Linzer (Theater der Zeit), Peter Krumme (freier Dramaturg), Peter Reichel (Dramaturgieprofessor Uni Leipzig) und Maria- Magdalena Schwaegermann (Hebbel-Theater) – kürt eine der Aufführungen zur besten – eine Auszeichnung, die mit dem Auftrag verbunden ist, 20.000 Mark kommissarisch entgegenzunehmen und an eine junge Autorin oder einen jungen Autor eigener Wahl weiterzureichen. Ein Wettspielen ums Mäzenatentum, das ist schön. Petra Kohse
Bis 3.7., Hans Otto Theater, Am Alten Markt, Telefon: 0331-280 06 93. Preisverleihung am 3.7., 21.30 Uhr.
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