■ Zu den Christopher-Street-Day-Paraden dieses Jahres: Immer noch Angst?
Gott sei Dank haben wir Rituale. Immer zum Sommerbeginn marschieren Schwule und Lesben öffentlich durch die Straßen deutscher Großstädte. Im günstigsten Fall herrscht dann gutes Wetter, im schlimmsten trifft man immer die gleichen Leute. Die Veranstaltungen heißen „Christopher Street Day“. Sie erinnern an den Aufstand von New Yorker Transvestiten im Jahre 1969 gegen eine korrupte Polizei, die ihre Lokale in nämlicher Christopher Street durchkämmten, wenn deren Besitzer keine Schutzgelder zahlen wollten. Das Datum markiert den Beginn der modernen Homosexuellenbewegung, weil Menschen außerhalb des heterosexuellen Beziehungsgeflechts erstmals nicht mehr bittend um Duldung nachsuchten, sondern offensiv um – immerhin – eine unbehelligte Existenz kämpften.
Das Gros der Teilnehmer, die heutzutage bei der Christopher- Street-Demo auf die Straße gehen, war damals noch nicht geboren. Sie wuchsen in einem gesellschaftlichen Klima auf, das freier in Deutschland nie war. Die Babyboomer der 68er-Generation wissen nur ahnungsweise, was es heißt, etwas sexuell zu tun, was der Paragraph 175 bis 1969 (in Westdeutschland) verbot. Es sind gleichzeitig die Protagonisten einer Homosexuellenbewegung, die seit kurzem beginnt, einzuklagen, was die ersten Homokämpfer nach 1969 sich nicht getraut hätten: Wir wollen alles, was die Heteros auch haben. Ideologien interessieren sie nicht. Ihnen ist es egal, ob ums lesbisch-schwule Leben herum Kommerz stattfindet, ihnen ist gleichgültig, ob ein Banker oder ein Diplom-Melker eben für diese Rechte einzustehen bereit ist.
„Nicht der schwule Politiker ist suspekt, sondern der, der seine Homosexualität krampfhaft verbirgt“, hat Heribert Prantl kürzlich in der Süddeutschen Zeitung den Fall des sächsischen Innenministers und des Schwulseins verdächtigten Heinz Eggert kommentiert. Der Satz Prantls macht deutlich, wie sehr sich die Grenzen in der Diskussion um das Homosexuelle schon verschoben haben: Schwule mögen doch bitte nicht immer nur als Opfer lamentieren, sondern endlich auch die erweiterten Spielräume nutzen, also zu dem stehen, was sie privat ausmacht.
Doch das sei alles falsch, meinen jetzt Vertreter der „alten“ Bewegung. So beklagt sich Elmar Kraushaar in einem im Auftrag des Bundesverbandes Homosexualität (BVH) geschriebenen Flugblatt, daß die Demonstrationen der Schwulen und Lesben jetzt so fröhlich sind, als ob Madonna, Alfred Biolek und Weather Girls die Regierung übernommen hätten. Die gesellschaftliche Integration stehe vor der Tür, doch das werde mit der Preisgabe kritischen Bewußtseins bezahlt. Die neue Homobewegung wolle nicht mehr demonstrieren, sondern sich nur noch im Paradieren üben.
Und einige autonome Homophile von der „Schwulen Baustelle“ in Hamburg vermissen bei den jetzt stattfindenden „albernen Karnevals- und Kommerzparaden“ den emanzipatorischen Charakter. Allein: Woraus der Inhalt dieses kritischen Bewußtseins bestehen könnte, erklären die großstädtisch-gelangweilten Sauertöpfe nicht. Der zweite Irrtum liegt bereits im Ansatz. „Wir denken, daß es in unserer Gesellschaft genug Mißstände anzugreifen gilt“, schreiben die Zuchtmeister der radikalen „Schwulen Baustelle“ in Hamburg und meinen damit das Projekt „Homoehe“ diskreditieren zu können: Als ob eine sexuelle Orientierung bereits den genetischen Code auf einen revolutionären Habitus birgt.
Aber wäre es nicht überhaupt ein Ereignis, viel mehr Homosexuelle dafür zu gewinnen, sich auf allen Ebenen der Gesellschaft dafür zu engagieren, daß sie als Schwule und Lesben fraglos werden können? Insofern ist die Forderung nach einer Homoehe emanzipatorischer als jene nach der Befreiung von der Zwangsheterosexualität. Die Paraden von Hamburg, Berlin und Köln sind Ausdruck gestiegenen Selbstbewußtseins, vorgetragen von einer Generation, die ihre Sexualität als Wunsch und nicht als irreversibles Übel zu begreifen beginnt. Deshalb sind fröhliche Umzüge politischer als gesinnungspolizeiliche Ermahnungen, doch bitte etwas mehr zu leiden an der Wirklichkeit.
Was ist schon revolutionär an Transparenten des BVH wie in Heidelberg, wo „Nieder mit dem Patriarchat“ gefordert wurde? Eine Handvoll politisch korrekter Menschen, die hinter dieser Parole stehen, dürfen sich hernach beglückt selbst auf die Schulter klopfen. Eine „Parade“ erreicht mehr Leute und ermöglicht eine Identifikation auch für jene, die nicht dem Dunstkreis der Bewegung angehören. Für viele schwule Männer ist es ein Segen, auf einer Paradendemo auch nicht-angefummelte Männer zu erblicken – Leute wie sie selbst. Sie sehen, daß es Männer gibt, die nicht erst die Initiationsriten der Autonomen („Erst eine Tunte ist wirklich schwul“) durchlaufen müssen, ehe sie für voll genommen werden.
Wenn wir alles wollen, was die Heteros auch haben, alle Rechte und alle Pflichten (erben, für sich einstehen, heiraten, im Krankenhaus den Gefährten besuchen, ihn auf den Betriebsausflug nehmen dürfen, Kinder adoptieren), wenn wir ebenso in den Staatsapparaten sichtbar sein wollen wie Heteros, wenn wir also dahin wollen, daß alle rechtlichen Diskriminierungen beseitigt werden, dann müssen wir uns selbst erheblich ändern.
Man wird sich die Finger schmutzig machen müssen, Kompromisse schließen und auch Niederlagen hinnehmen müssen. Aber nur, weil Bischof Dyba aus Fulda mal wieder eine katholische Blähung vom Stapel gelassen hat, weil irgendeiner sonst uns nervt oder quält, ist das längst noch kein Grund zu sagen: Haben wir doch gesagt, die wollen uns nicht. Wer siegen will, muß mit Gegnerschaft rechnen – mit Skins und anderen Figuren, die uns nicht wollen. Na und? Sind wir nicht Manns oder Fraus genug, das als Herausforderung zu begreifen?
Wir müssen uns fragen, woran es liegt, daß die öffentliche Solidarität vorhanden ist, es an ihr in der Praxis häufig jedoch noch hapert. Weshalb kann es passieren, daß beispielsweise in einem Flensburger Park des Nachts zwei Homos von drei Schwulentickern überfallen werden – und 50 ebenfalls dort flanierende Schwule flüchten? Es liegt nicht an der Polizei: Man bräuchte sie nicht, wenn der Parkhomo genug Courage hätte, die Angreifer zurückzuschlagen.
Und: Woran liegt es, daß ein gesellschaftliches Klima, das tragischerweise auch Aids mit hervorgerufen hat, eines des Mitgefühls, manchmal auch der Neugier und des Neids, kaum dazu beiträgt, die Feigheit der Schwulen und Lesben zu ändern? Kurzum: Warum haben wir immer noch Angst vor der Gesellschaft, mehr noch: vor uns selbst?
Jan Feddersen und
Alexander Heinz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen