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■ ÖkolumneVernichtungskunst Von Gerd Rosenkranz

Auch Selbstverständlichkeiten können in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel diese: Der Atomwaffensperrvertrag, dessen unbefristete Verlängerung im Mai hierzulande regierungsamtlichen Jubel auslöste, war vom ersten Tag seiner Existenz eine Zumutung für jedes Gerechtigkeitsempfinden. In letzter Konsequenz billigt er fünf Ländern zu, die Welt zu zerstören. Mittlerweile 174 Vertragspartner dürfen hoffen, daß der Club der Fünf von seinem Recht keinen Gebrauch macht. Diskriminatorischer kann ein internationales Abkommen nicht sein.

Die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten haben nach Hiroshima und Nagasaki darauf verzichtet, sich und den Rest der Welt auszulöschen. Aber sie hatten vor und nach dem Inkrafttreten des Abkommens keine Skrupel, erst die Atmosphäre rund Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

den Globus

versuchsweise radioaktiv zu verseuchen und dann der Erde immer neue Wunden zu schlagen. Die Rücksicht auf die „eigenen Leute“ nahm mit zunehmendem Wissen über die Folgen zu, die auf die „Eingeborenen“ nicht. Frankreich, Großbritannien und die USA fanden nichts dabei, die Einwohner des Mutterlandes zu schonen und die Lasten irgendwo auf der anderen Seite der Erde abzuladen. Chauvinismus pur. Die Frage kann nicht oft genug gestellt werden, weil sie auch ohne Antwort die Bodenlosigkeit der französischen Argumentation erhellt: Warum übt die Force de Frappe ihren Atomkrieg nicht im Zentralmassiv, wenn die Tests so harmlos sind, wie Jacques Chirac nicht müde wird, zu behaupten?

Für den Fortbestand des Atomwaffensperrvertrags gab und gibt es trotz allem gute Argumente. Das wichtigste steht in Artikel 6. Darin verpflichten sich die Nuklearstaaten, freilich ohne jede Fristsetzung, zur vollständigen Abrüstung ihrer Arsenale. Die Gegner einer Vertragsverlängerung bis ultimo hatten gewarnt, die Verewigung des Abkommens würde jeden Druck von den Atomwaffenstaaten nehmen, ihre Abrüstungsversprechen in einem überschaubaren Zeitraum zu erfüllen. Schon weil dann kein nuklearer Habenichts mehr mit dem Kündigungsschreiben winken könne. Exakt so ist es gekommen. Während der Verhandlungen gurrten allenthalben die Tauben. Die großen Fünf fraßen brav eine Zusatzerklärung, die ein Teststoppabkommen bis 1996 verlangt, das Verbot der Herstellung nuklearer Sprengstoffe ins Auge faßt und das Ziel einer „nuclear free world“ ausdrücklich bekräftigt – drei Tage danach zündete China die nächste Bombe. Vier Wochen später kompromittierte Chirac die Gutgläubigkeit der großen Mehrheit der Vertragsparteien. Aus den USA werden inzwischen militärische Programme kolportiert, die die rasche Wiederaufnahme der Atomwaffentests möglich machen sollen. Ein übler Affront, vor allem gegenüber jenen Staaten der Dritten Welt, die sich in New York zähneknirschend in die unbefristete Verlängerung des Vertrags fügten. Die Atmosphäre ist nachhaltig vergiftet und droht alle multilateralen Abrüstungsbemühungen über Jahre zu belasten. Die Neigung der heimlichen Atomwaffenstaaten Israel, Indien und Pakistan, ihre Arsenale zu öffnen und später zu vernichten, ist auf dem Nullpunkt. Die nuklearen Ambitionen anderer Potentaten werden weiter wachsen.

Zweifellos, acht zusätzliche Explosionen auf Mururoa sind ein Verbrechen an den dort lebenden Menschen und an der Natur. Im Weltmaßstab verheerender wirkt die nachgeschobene Begründung. Frankreich, heißt es, braucht den Nachschlag, um sein Atomarsenal nach Inkrafttreten eines Teststoppabkommens weiter modernisieren zu können. So wie es die USA, Großbritannien und Rußland schon heute beherrschen. Gemeint sind jene homöopathischen Sprengsätze und Computersimulationen, die künftig die Basis nuklearer Vernichtungskunst bilden sollen. Wer auch das verbieten will, wird bestenfalls als Träumer belächelt, schlimmstenfalls als Störenfried abgekanzelt. Ein schlechtes Abkommen sei besser als gar keines, argumentieren vorsorglich die Realpolitiker. Aber so ist es nicht. Die Fortsetzung des nuklearen Wettrüstens im Labor setzt Artikel 6 des Vertrags faktisch außer Kraft. Der Anspruch einer atomwaffenfreien Zukunft wandert ins historische Raritätenkabinett.

Langfristig bleiben der Menschheit genau zwei Alternativen: Entweder sie schafft die Atomwaffen ab, oder sie schaut zu, wie sie sich ausbreiten. Stillstand gibt es nicht. Auch so eine Selbstverständlichkeit.

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