: Quere Möbel und Gedanken für zu Hause
■ Philosophie und Design im „Treujanischen Schiff“: Michael Lingner analysierte das Verhältnis von Geschmack und Kunst, Helena Huneke versteigerte ihre Skandal-Stühle
Ein freundlicher Ort, halb vergammelt, halb Hi-Tech, am direkten Weg von der Hafenstraße nach Amerika ist das „Treujanische Schiff“. Das alte Kümo am Fischmarkt-Ponton ist die von der Klasse Mike Hentz eröffnete Außenstelle der Hochschule für bildende Künste auf der Elbe. Dort trafen sich am Mittwoch der Theorieprofessor Michael Lingner und die Designerin Helena Huneke unter der Frage „What's your Style?“.
Bunter Überfluß der Warenwelt und keine ästhetischen Vorschriften mehr: Da ist persönlicher Stil angesagt. Ausgehend vom Werbespruch „Die Freiheit nehm' ich mir“ untersuchte Michael Lingner die Rolle, die Kunst überhaupt noch spielen kann, wo doch schon im Alltag überall Lifestyle-Entscheidungen gefragt sind. War der Gedanke der Autonomie der Kunst seit Kant eng mit dem ästhetischen Geschmacksurteil verbunden, hat die Moderne immer gegen diesen Begriff gekämpft.
Doch im Zeichen der Postmoderne bleibt zwischen dogmatischen Normen und zynisch nihilistischer Beliebigkeit einzig die individuelle ästhetische Kultivierung möglich, folgert Lingner und schließt seine Thesen ironisch mit einem anderen Werbespruch: „Suchen Sie keinen Sinn, sondern ihren Geschmack“.
So wenig provokativ solche Thesen in der freien Kunst sind, beim Design stoßen sie auf harten Widerstand. Denn die umgebauten Stühle der Helena Huneke lösten an der Kunsthochschule einen Skandal aus. Als ihre Arbeit in der Abschlußprüfung mit „1“ bewertet wurde, war es Designpapst Dieter Rams zuviel: „Wenn das jetzt Design ist, habe ich 30 Jahre lang Scheiße gemacht“ rief er und verließ unter Protest für mehrere Wochen die Schule.
Hier standen die Stühle des Anstoßes nun friedlich in der Abendsonne: 18 gebrauchte Stühle aus New Yorker Müll, höchst individuell umgearbeitet. Nicht nur dem speziellen Charkter jedes verbrauchten Objektes zwischen Kunstleder-Freischwinger und Kindersitz hat Helena Huneke nachgespürt, auch jeder Fehler – Bruch, Riß und Verschleiß – wurde zu neuer Form gewendet. Da sind Armlehnen zu Fußstützen gebogen oder ergeben zwei grundverschiedene Stuhlruinen zusammen einen gut benutzbaren neuen Sessel. Die Möbel werden aufsässig und verlangen völlig neu besessen zu werden. Der „schottische Flug-Sessel“ mit seinen Holzgerüsten wiegt den Piloten in trügerischer Sicherheit und der widerborstige „Wasser-Waagschalensitz“ mit Stoßdämpferfeder und Autoreifenschlauch wirft immer wieder seinen Benutzer ab.
Zur Erläuterung all dieser Merkwürdigkeiten gehören pro Exemplar ein hilfreiches Arbeitsbuch und eine Grafik. Trotzdem blieb bei der Versteigerung am Mittwoch Abend manches gute Stück unverkauft. Als die wenigen, die sich tatsächlich Sitzmöbel ersteigert hatten, mit ihren Konzeptstücken abzogen, fand Michael Lingner für die Zurückgebliebenen Trost: „Sie sind ja belohnt worden durch diesen Ort“ – und dazu gab es, muß man hinzufügen, viele frische Gedanken, passend zur mit der Flut aufkommenden kühlen Abendbrise. Hajo Schiff
Nächste Veranstaltungen: Sa, 20 Uhr: EKICI performance; So, 4-12 Uhr: Fischmarkt-Kunstmarkt; 25. Juli: Classic Jourfix; 26. Juli: HfbK Jourfix mit Vortrag und 27.-30. Juli: „Live Neuwerk Tranceport Party“.
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