: Von Ökos, Laubenpiepern und Chaoten
■ Rollheimerdörfer in Berlin sind mittelfristig bedroht. Senatsbeschluß läßt keine Wagenburgen mehr in der Berliner City zu. Neue Stadtentwicklung und Verkehrsplanungen vertreiben die Bewohner der Wagen,
Von Silke Fokken
Heute müssen die Rollheimer an der Köthener Straße endgültig ihre Trecker anwerfen, die Gartenpforten abmontieren und die Sonnenblumen umpflanzen. Der Grundstücksbesitzer, der Elektromulti ABB, hat den etwa dreißig WagenbewohnerInnen gekündigt. Nach etlichen Verzögerungen wegen der Senatsstreitigkeiten um den Bau der S-Bahn-Linie 21 hat der Bauträger Roland Ernst jetzt eine Teilbaugenehmigung erhalten und kann loslegen.
Das Wagendorf am Potsdamer Platz ist das älteste in Berlin und gründete sich vor vierzehn Jahren im Zusammenhang mit dem Tempodrom. Hier entstand auch der Name „Rollheimer“, abgeleitet vom „Rolling home“-Song. „Der Begriff Wagenburg erinnert zu sehr an Völkermord und Abschottung“, meint Sprecher Wolfgang Niedrich. Mittlerweile haftet den Köthenern ein etwas spießiges „Schrebergartenimage“ an.
Die Senatsverwaltung für Soziales hatte den Rollheimern in der vergangenen Woche drei Ausweichgrundstücke angeboten: ein Platz auf der verlängerten Flughafen-Rollbahn Tempelhof im Bezirk Neukölln im Besitz der St.- Thomas-Kirchengemeinde, ein ehemaliger Sportplatz auf Reichsbahngelände am Bruno-Birgel- Weg in Köpenick oder der bereits vorhandene Platz am Teltowkanal an der Späthbrücke. „Die passen uns aber alle nicht“, meint Rollheimer Wolfgang. Bei dem Sportplatzgelände werde eine Mark Pacht pro Quadratmeter und Monat erhoben. Dafür reiche bei vielen das Geld nicht. „Wir sind bereit, den dreifachen Schrebergartenpachtpreis, nämlich 1,50 Mark im Jahr, zu zahlen.“
Kulturschutz für Autonome
Auch für die Wagenburg in der Marchstraße gibt es einen konkreten Räumungstermin: Am 30. September ist Deadline. Vor sechs Jahren hatten die ersten „Autonomen“ ihre Wagen dort neben dem besetzten Haus abgestellt. Der Hauseigentümer will einen neuen Bürokomplex bauen und versucht „schon ewig“, und bislang erfolglos, die neun WagendörflerInnen wegzuklagen. „Vor zwei Jahren sind hier sechshundert Polizisten reingelaufen, haben „buh!“ gerufen und waren dann wieder weg“, lacht Schemmi mit dem Nasenring. Ein Ausweichgrundstück sei ihnen bislang nicht in Aussicht gestellt worden. Tina im Totenkopf- T-Shirt ist froh über die Unterstützung der Technischen Universität. „Denen gehört das Wagenburg- Grundstück, und jetzt stehen wir unter Kulturdenkmalschutz.“
Multikulti am Kanal
Bis die Wagenburg am Lohmühlenufer umziehen muß, „fließt noch viel Wasser den Landwehrkanal runter“, meint Zosch. Seit vier Jahren leben 27 Rollheimer mit zahlreichen Hunden, Blick aufs Wasser und Kleinkunstbühne auf dem ehemaligen Treptower Todesstreifen. GauklerInnen aus aller Welt und dem Wagendorf selber sorgen regelmäßig für Multikulti-Stimmung und wollen damit auch Hemmschwellen ihrer NachbarInnen abbauen. „Mittlerweile sitzt hier so manche Omi auf der Veranda und trinkt ihren Sonntagstee“, freut sich Zosch.
Die Bebauungspläne des Stadtplanungsamtes sehen auf dem Gelände künftig eine Dampferanlegestelle und einen Spielplatz vor. Zosch rechnet angesichts leerer Geldtöpfe in Berlin mit bis zu drei Jahren Schonfrist.
Mit der Wasserpfeife im Grünen
Wenige Kilometer entfernt genießen auch die WagendörflerInnen am Teltowkanal an der Neuköllner Späthbrücke den Blick aufs Wasser. „Es ist schön grün und ruhig hier“, meint ein Rollheimer und Elektro-Azubi und läßt die Wasserpfeife kreisen. Zusammen mit etwa fünfzehn anderen hatte er aufgrund von Meinungsverschiedenheiten und Baulärm an der Köthener Straße den Platz am Kanal vor etwa einem Jahr neu besetzt. 1998 soll allerdings der Plan für die neue Stadtautobahn fertig sein. Dann müssen die Wagenfreaks ebenso wie die Laubenpieper auf der anderen Uferseite Platz machen.
LKWs gegen Esel
Die Wagenburg in der Kreuzberger Adalbertstraße am Kinderbauernhof ist mittelfristig bedroht. Seit dreizehn Jahren leben die WagendörflerInnen in guter Nachbarschaft mit Ziegen, Eseln, Hühnern, Kaninchen und einer Menge von Kindern. „Die Strukturen sind gemeinsam gewachsen. Viele Kinder vom Bauernhof finden in der Wagenburg ihre Bezugspersonen“, sagt Martina. Auf dem Gelände sind ein LKW-Wendeplatz und eine Schule geplant.
Zwar hatte der Bezirk Mitte angeboten, die Kreuzberger Schulkinder in einer nichtausgelasteten Schule in Mitte aufzunehmen und den Kindern des eigenen Bezirks den Zugang zum Bauernhof zu ermöglichen, aber Kreuzberg lehnte ab.
Versteckte Lebenskünstler
Das Wagendorf am Mariannenplatz liegt versteckt. Der Eigentümer ist das Grünflächenamt. Die Kreuzberger CDU will den ehemaligen Park wieder in seinen Ursprungszustand versetzen. „Uns sieht man aber nicht so, deshalb haben wir es leichter“, meint eine Wagenbewohnerin beim Mittagessen unter Bäumen und fühlt sich erst mal sicher. Das Markenzeichen des Dorfes: „Wir sind alle Lebenskünstler“, meint Gaukler und Feuerspucker Logo.
Kompostklo und Biotop
Wie eine Großfamilie leben die Rollheimer auf der Friedrichshainer Seite an der Schillingbrücke. Ihre Wagen stehen im Kreis, in der Mitte ein Lagerfeuerplatz, Sonnenblumen, Wasserpumpe und Feuchtbiotop. „Wir sind zwar wegen der Verdrängungspolitik auch von der Räumung bedroht, aber nicht so akut“, meint Thomas. Leider habe das „Sauberkeitsdenken“ in Deutschland noch immer nicht aufgehört. An der Schillingbrücke bedeutet das Wagenleben ein alternatives Gemeinschaftsleben, aber auch Verzichtökologie von Kompostklos bis zur Solarzelle. „Das Gelände ist von Pestiziden verseucht, deshalb wächst nicht viel“, bedauert Thomas.
Seit einem halben Jahr beherbergt das Wagendorf auch die Berliner Frauen-Lesben-Wagenburg mit fünf Frauen.
„Es gab 'ne Menge Bullen-Streß. Bislang haben wir vergeblich einen eigenen Platz gesucht und sind immer wieder von der Polizei vertrieben worden“, erzählt die dreißigjährige Aino. Jetzt sind die Frauen den offiziellen Weg gegangen: Sie haben sich an die Parteien in Prenzlauer Berg gewandt. Es wurde ein PDS-Antrag verabschiedet, den Frauen einen Platz zu suchen. Die erste Hürde der Betroffenenvertretungen, sprich: der Grundstücksbesitzer, ist schon genommen. „Jetzt kommt es auf das Wohlwollen von Hygieneamt und Brandschutz an.“
Am Schwarzen Kanal gegenüber der Wagenburg an der Schillingbrücke leben sechzehn Rollheimer, vier Hunde und Katzen, zwei Hühner und acht Guppys.
„Volxküche“ und Varieté
Den Platz gibt es seit fünf Jahren. Die „Volxküche“, ein Mix aus Picknick und Polit-Kultur-Programm, und das Varietéprogramm der WagenbewohnerInnen sind mittlerweile stadtbekannt.
Am Schwarzen Kanal soll eine Uferpromenade entstehen, die an der Oberbaumbrücke beginnt. „Das ist das Lieblingskind der Verkehrsplaner“, meint Susanne. Im nächsten Frühjahr ist Baubeginn. „Wir können uns durchaus vorstellen, als Wagenburg integriert zu werden, zum Beispiel wenn ein Steg gebaut würde“, sagt sie. Bislang habe es keine Gespräche der PolitikerInnen mit den WagenbewohnerInnen gegeben.
„Schlimmer geht's nicht“
An der East Side Gallery gegenüber dem Hauptbahnhof herrscht Chaos. Gerüchteweise existiert dort einer der größten Drogenumschlagplätze Berlins. „Hier kann man alles kaufen.“ Am Eingang türmen sich Einkaufswagen, Schrotteile und Haushaltsmüll. „Es gibt viele Durchreisende, die lassen ihren Müll hier, wenn sie sich verpissen“, meint Thomas, der vor vier Jahren nach der Räumung am Tommy-Weißbecker-Haus in der Wilhelmstraße die East Side mitbesetzt hat. Das Publikum ist heute international.
„Erst war hier alles in Ordnung und überschaubar“, sagt Thomas. Seit der Räumung der Wagenburg in der Kreuzberger Waldemarstraße seien immer mehr Leute gekommen. „Das ist an der East Side alles zu groß und unkontrollierbar geworden“, sagt Thomas. Etwa 150 Menschen wohnen an dem graffitibepinselten Mauerrest. „Schlimmer kann's hier kaum werden.“
Föderal und gut gemischt
Der erste offizielle Rollheimerplatz in der Köpenicker Wuhlheide wurde den Berliner WagendörflerInnen vor vier Jahren vom Senat als Ausweichplatz wegen der Räumung der kleineren City- Plätze zugewiesen. Mittlerweile leben dort 130 Menschen inklusive dem kleinen Leo, der vor vier Tagen das Licht der Welt im Bauwagen erblickt hat. Das Gelände ist der ehemalige Karl-Marx-Jugendcampingplatz.
„Hier stimmt einfach die Mischung“, sagt der „Problemlöser“ des Platzes, Werner Hampf. Vom „Palazzo Protzo“ bis zum „etwas zugemüllten Viertel“ sind hier VegetarierInnen, BastlerInnen und Punks vertreten. „Ein Garten mit vielen Pflanzen darf auch Brennesseln haben.“
Werner wird von der Senatsverwaltung fürs Organisieren bezahlt, ist beim Sozialpädagogischen Institut angestellt und lebt selber seit 14 Jahren im Wagen. „Der Platz hat föderalistische Strukturen, außerdem gibt es ein kleines Regelwerk, an das sich jeder zu halten hat. Nur so funktioniert es“, erklärt er. Keine harten Drogen, keine Gewalt. Für den Stellplatz in der Wuhlheide wird von den WagenbewohnerInnen seit März 1993 ein Pachtmietbetriebskostenbeitrag von monatlich 60 Mark erhoben.
Janz weit draußen
Im Wagendorf in der Pankower Pankgrafenstraße sollen diese finanziellen Verhältnisse künftig angeglichen werden. Der Stellplatz nahe Karow ist seit 1993 der zweite offizielle Ausweichplatz für die Rollheimer aus der Innenstadt. Mehr als hundert WagenbewohnerInnen leben auf dem ehemaligen LPG-Schweinemast-Gelände. „Ich bin hier ganz zufrieden, der Riesennachteil ist nur die Entfernung zur Stadt“, meint Treckerbecker. Es gebe Strom, Wasser, Straßenlaternen und neuerdings auch Bioklos. Die Pankower sind unter den Berliner Rollheimern als „Ober-Ökos“ verschrien. „Die haben keine Probleme mit Drogen oder so was, sondern jeder will 'nen eigenen Hahn haben, und dann krähen die Teile den ganzen Tag um die Wette.“
Pankow ist wie die Wuhlheide dezentral organisiert. Das klappt auch in Eigenregie „ganz gut“. Mit Hecken sind etwa 500 Quadratmeter große Flächen abgetrennt. Trotzdem gibt es einen gemeinsamen Treffpunkt: eine Kneipe im ehemaligen Schweinestall. Dort werden auch Neuankömmlinge auf Herz und Nieren geprüft, ob sie bleiben dürfen.
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