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Der Tod aus der Gießkanne

■ Parasiten im Sommerloch, Teil 4: Myriaden von Fadenwürmern im furchtbaren Kampf gegen den gefurchten Dickmaulrüßler / Tatort Rhododendronpark

Gottes Arme sind lang. Länger noch als die von Henning Scherf. Gottes Arme reichen bis in jeden Garten. Ebendort, wo es grünt und grubbert, wo es wächst und wuselt, inmitten der üppigen Natur, setzte er einst den gefurchten Dickmaulrüßler aus.

Seitdem beißt sich das Tier durch die Zeitalter und hinterläßt dabei eine typische Fraßspur. Anders als die Schnecke, die das Blatt bis aufs Gerippe runterlutscht, knabbert der gefurchte Dickmaulrüßler mit seinem dicken Maul wohlfeil gerundete Buchten ins Grün. Schon vom Ästhetischen her eine einmalige, bewundernswerte Entsorgung der Flora.

Sein eigenes Aussehen ist dagegen relativ schlicht. Ein schwarzer Käfer halt, einer von 100 seiner Art. Ganz anders sein blumig-opulenter Name, der manchem Politiker zur Ehre gereichen würde. Wie diese arbeitet der gefurchte Dickmaulrüßler unterirdisch. Er bleibt gern im Untergund, zieht seine Fäden im Schutz der Nacht, legt heimlich Eier, läßt seine Larven die Hauptarbeit verrichten und dabei vorwiegend immergrüne (sic) Laubgehölze flachlegen. An die Oberfläche tritt der gemeine Dickmaulrüßler selbst nur nachts, um seine Diäten einzunehmen und dabei seine typische Fraßspur zu hinterlassen.

Deren Ästehetik vermögen besonders Baumschulbesitzer nicht zu schätzen. Sie fürchten den gefurchten Dickmaulrüßler. Entdecken sie die Fraßspuren, geraten sie in helle Panik. Das muß man verstehen, denn wo die Spuren sind, da sind auch die Larven des Rüßlers, bereit, innerhalb einer Saison üppige Plantagen in öde Wüsten zu verwandeln. Sie beißen sich durchs frische Wurzelwerk, knabbern dem werdenden Grün am Grunde seiner Kraftquelle das Leben ab.

Bis in die 80er Jahre verfolgten Baumschulbesitzer, Parkverwalter und Gartenzwerge den gefurchten Dickmaulrüßler mit der chemischen Keule. Sie hetzten ihn wie einen Wolf, bis BiologInnen vor wenigen Jahren einen natürlichen Feind des Rüßlers zur Massenproduktion freigaben: „Nützlinge“ nennt man verlogen die parasitären Nematoden der Gattung Heterorhabditis und Steinernema. Diese etwa 0.1 Millimeter langen Fadenwürmer begeben sich schnurstracks in die unterirdisch knabbernden Larven und geben dort ein Bakterium ab, das sich stark vermehrt. Der sichere Tod für Larve und Puppe. Anschließend wandern die Würmer aus und besetzen den nächsten Schädling.

„Die Zeit der Ausbringung ist jetzt“, mahnt Julia Westhoff, Leiterin des Botanischen Gartens und des Rhododendronparks. Denn der gefurchte Dickmaulrüßler hat seine Eier von Juni bis September im Boden abgelegt, die sich in etwa 10 Tagen zu Larven entwickelt haben, die bereits ordentlich futtern, um ihren Winterschlaf durchzustehen. Sollte der Boden weniger als 10 Grad haben, wie zuweilen schon im September, fallen auch ihre Feinde, die Fadenwürmer, in den Winterschlaf.

Also heraus mit ihnen! Etwa 500.000 Würmchen pro Quadratmeter sind notwenig, um des Dickmaulrüßlers Larven grundlegend zu infizieren. Keine Panik, die halbe Million Nematoden kostet nur 50 Pfennig. Man muß aber, bedauert Julia Westhoff, mindestens für 200 Quadratmeter abnehmen, „kleinere Gebinde gibt es nicht“. Dies Gebinde Fadenwürmer gibt man in eine Gartenspritze. Dabei ist darauf zu achten, daß selbige große Düsen hat, sonst quetscht man die Nematoden zu Tode. Und das will ja niemand.

Zu beachten ist auch, daß man die Gebinde alsbald in die Erde ergießt, denn die Würmer sind überirdisch nur wenige Tage lebensfähig. „Übers Wochenende liegenlassen geht nicht“, warnt Julia Westhoff. Vorschriftsmäßig in die befeuchtete warme Erde gegeben, beginnen sie jedoch alsbald ihr vernichtendes Werk. Haben sie alle Dickmaulrüßler-Larven erledigt, sterben sie selbst mangels Futter. „Das ist aus ökonomischer Sicht natürlich nicht so erfreulich“, bedauert Julia Westhoff, die alljährlich neue Gebinde Nematoden anschaffen muß.

Und das nicht zu knapp, denn der gefurchte Dickmaulrüßler hat Einzug in Rhododendronsteingarten und Park gehalten. Selbst in den Gewächshäusern huckt er schabend und vermehret sich emsig. Da es dort angenehm warm ist, verzichten die Larven gar auf ihren Winterschlaf und nagen ganzjährig. Der Rat an den normalen Gartenbesitzer, morsche Bretter auf den Wurzelballen auszulegen, um morgens die Käfer abzusammeln, bringt im Botanischen Garten nichts mehr. In einem breiten Feldversuch werden daher zur Zeit die Nematodenzüchtungen verschiedener Anbieter auf ihre Nützlichkeit hin getestet. Schade nur, daß man das nicht filmen kann. Der Park würde sich vor neugierigen BesucherInnen kaum noch retten können. Doch wer ahnt schon, daß an diesem beschaulichen Fleckchen, unter Platanen und Steinrosen, ein veritabler Kampf zwischen dem Fadenwurm und dem gefurchten Dickmaulrüßler tobt?

Dora Hartmann

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